Zwei Seelen wohnen – ach! – in diesem Buch
Dora und Luka lernen sich kennen, als sie zwei und er fünf Jahre alt ist: Die Begegnung ist so erschütternd, dass Luka ohnmächtig wird. Von diesem Tag an sind sie unzertrennlich, sie treffen sich an einem geheimen Felsen an der Küste ihres Heimatorts Makarska in Kroatien, sie beobachten die Wolken und verstehen einander mit Blicken. Die Luft verändert sich, wenn die beiden zusammen sind, und alle bemerken es. Doch dann greift das Schicksal in Form von Doras Eltern ein: Sie ziehen mit ihrer Tochter nach Paris. Der Schock betäubt Dora und Luka für Jahre, beide vermissen einander so sehr, dass sie den Schmerz tief in ihrem Inneren vergraben – zusammen mit der Erinnerung. An den Felsen, an die Wolken, an den Geruch des Meeres. Bis zu einem denkwürdigen Tag 16 Jahre später, als das Leben sich wieder gnädig mit Dora und Luka zeigt und sie in Paris erneut zusammenbringt. Doch diese Laune des Schicksals hält nur drei Monate, bevor sie erneut umschlägt und Dora und Luka sich widrigen Umständen gegenübersehen, die ein Zusammensein verhindern. Das ist schlimm. Aber schlimmer noch ist: dass die Liebe nicht aufhört.
Nataša Dragnić, die selbst in Split geboren ist und in Deutschland lebt, hat mit Jeden Tag, jede Stunde einen sehr dramatischen Liebesroman geschrieben. So groß ist die Liebe zwischen Dora und Luka, dass Luka regelmäßig sprichwörtlich die Luft wegbleibt und sogar ich mich schon ein bisschen erdrückt fühle. Als die beiden noch Kinder sind, ist ihr Umgang miteinander spielerisch und geschwisterlich, doch selbst da ist ihre Liebe schon schwer wie ein Anker. Niemals hätte jemand die beiden trennen sollen, denn sie können ohne einander zwar existieren, aber nicht zufrieden sein. Schon früh entdecken beide ihr jeweiliges Talent und machen daraus später ihre Berufe: Luka hat Erfolg als Maler, Dora wird eine großartige Schauspielerin. Alles fällt ihnen leicht, und alles scheint vorgezeichnet zu sein: wer sie sind, und dass sie zusammensein müssen. Doch Nataša Dragnić macht es ihren Protagonisten alles andere als einfach.
Die Autorin arbeitet sehr stark mit dem Stilmittel der Wiederholung. Das mag ich prinzipiell sehr, ist mir im vorliegenden Fall aber einfach zu viel. Genau wie die ständige Betonung darauf, wie übermächtig und bedeutend diese Liebe ist, wie viel Pathos – gewürzt mit Gedichten von Pablo Neruda – und Ausweglosigkeit in ihr stecken. Ihre ganze schriftstellerische Kraft gebraucht Nataša Dragnić, um mir klarzumachen, dass Dora und Luka Seelenverwandte sind. Ich bin auch eine Zeitlang geneigt, ihr das zu glauben, doch mir kommen Zweifel, als sich herauskristallisiert, dass eine sooo gewichtige Liebe sooo banale Hindernisse nicht überwinden kann. Dora und Luka verhalten sich ab einem gewissen Zeitpunkt derart konträr zu ihren angeblich so großen Gefühlen, dass ihre Beziehung zeitweise zu einer reinen Bettgeschichte degradiert wird. Das ist nicht schön. Und als eine unerwartete Wahrheit ans Licht kommt, fühle ich mich – wie Luka – doch ein bisschen verarscht. Trotzdem sonne ich mich während des Lesens in den funkelnden Strahlen, die von dieser Liebesgeschichte ausgehen. Die Leichtigkeit, die manchmal zwischen Dora und Luka liegt, passt zu meiner Urlaubsstimmung, denn ich habe diesen Roman am Strand von Kroatien gelesen, wo ich mir den Felsen der beiden und ihre Wolkenbilder gut ausmalen konnte. Meine Zuneigung galt diesem besonderen Paar, dem die Autorin so viel Hoffnung gibt und dem sie dann so übel mitspielt. Sie kann wunderbar schreiben, und ihr Stil hat mir sehr zugesagt. Aber ich hätte mir einfach mehr Übereinstimmung zwischen der Größe der Liebe und ihrer Lebbarkeit gewünscht. Deshalb endet Jeden Tag, jede Stunde in meinem Kopf ganz anders.
Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge: das Cover gefällt mir gar nicht, das Foto ist auf merkwürdige Weise angeschnitten und zeigt nur eine Frau statt ein Paar. Der Titel stammt aus einem Gedicht von Pablo Neruda.
… fürs Hirn: ich kann nicht glauben, dass eine Liebe, die zu Ohnmachtsanfällen führt, gesellschaftliche Konventionen nicht besiegen kann.
… fürs Herz: eine Achterbahn der Gefühle. Um es mit Goethe zu sagen: himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt.
… fürs Gedächtnis:das andere Ende in meiner Fantasie.