„Vielleicht kann man sich an jeden gewöhnen und ihn dafür lieben, dass er einen erträgt“
„Dieses Konzept der Ehe darf man doch mal überdenken, oder? Was spricht dagegen, dass die Person, mit der ich nicht verwandt bin, ein wenig Spaß hat? Gehört sie mir, weil wir ein Papier unterschrieben haben? (…) Bedeutet die Ehe nicht zwangsläufig das Ende aller Gefühle?“ Das fragt sich der gescheiterte Theaterregisseur Rasmus, und zwar aus einem konkreten Grund: weil seine Frau Chloe einen anderen fickt. Die beiden sind schon lange ein Paar, zusammengewachsen, aneinandergeklebt, symbiotisch. Der Sex zwischen ihnen war nie gut, weil Chloe zu den Frauen gehört, die nicht sagen können, was sie im Bett wollen – zumal sie es auch gar nicht so genau wissen. Rasmus fühlt sich seiner schönen Frau unterlegen, und aus Angst, ihr nicht zu genügen, kann er genau das eben nicht. Unter Drogeneinfluss erlebt Chloe eine Massage mit Happy End und verwechselt in ihrem ausgehungerten Zustand den chemischen Hormonrausch mit Verliebtheit. Dass es keine ist, kann sie natürlich erst herausfinden, wenn sie oft genug mit dem langhaarigen Masseur gevögelt hat. Das tut sie auch. Zuhause in ihrer Wohnung. Mit dem desperaten Rasmus daneben, der immer mehr verkümmert: „Ich habe angefangen zu onanieren. Das war mir immer ein Trost, es lenkt mich ab, stellt ein Gefühl her, wo Leere ist. Ich onaniere und denke an Chloe, und das leise Wimmern wird immer mehr zu einem Schluchzen. Etwas Erbärmlicheres als ein Mann, der sich bei der Vorstellung der Frau, die ihn nicht will, einen runterholt, fällt mir nicht ein.“
„Der Mensch ist für die Monogamie nicht geschaffen“, sagt meine Freundin immer. Ist ja quasi wider die Natur! Aber was tun, wenn man dann eben mal verheiratet ist und gefangen in den Zwängen von Gesellschaft und Moral? Sybille Berg hat eine Ehe auf den OP-Tisch gewuchtet und seziert sie mit chirurgischer Genauigkeit, ohne Narkose. Ihre beiden Protagonisten legen abwechselnd ihre Sicht der Dinge dar: das berufliche Scheitern von Rasmus, die mangelnde Leidenschaft, die Eifersucht. Schicht um Schicht entblättert und entblößt die deutsche Autorin einen Mann und eine Frau, zeigt ihre Triebe, ihre Ängste, ihre Sehnsüchte, ihre Körperlichkeit. Ich habe nie zuvor etwas von Sybille Berg gelesen, aber mir war freilich bekannt, dass sie sehr spitz, pointiert und klug schreibt – und dass sie polarisiert. Das hat sich für mich mit ihrem jüngsten Roman bestätigt, der obendrein herrlich sarkastisch ist. Jeder, der schon eine längere Beziehung geführt hat, wird sich darin wiederfinden. Garantiert! Selbst wenn er es sich vielleicht nicht eingestehen will. Ein großartiges, schonungsloses, unbedingt zu lesendes Buch!
Der Tag, an dem meine Frau einen Mann fand von Sibylle Berg ist erschienen bei den Hanser Literaturverlagen (ISBN 978-3-446-24760-4, 256 Seiten, 20,50 Euro).
Noch mehr Futter:
– „Begeistert hat mich dieses Buch durch seine unglaubliche Wucht der Sprache. Klar, präzise, hemmungs-, scham- und schonungslos. Sibylle Berg muss sich nicht erst warmlaufen, sie langt sofort mit der Faust dorthin, wo es weh tut“, schreibt Sonja von lustzulesen.de.
– „Denn die Romane von Sibylle Berg muss man aushalten können! Ihre Figuren fragen sich beständig, warum das Leben so ist, wie es ist, und welchen Sinn das Ganze hat. Man könnte es sich auf dieser Welt schließlich so schön machen – aber man macht es nicht“, erklärt Wolfgang Tischer auf literaturcafe.de.
– Und hier könnt ihr euch den sehr amüsanten Trailer zum Buch anschauen.