“Weil es schlimmer nicht mehr kommen kann und schlimmer kommen wird”
Helen und Joseph sind seit der Kindheit beste Freunde, als Helens Finger im Sandkasten von einem Kindergartenrowdy abgetrennt wurd und Joseph ihr beistand. Als Helen nun – etwa 50 Jahre später – zwei Mal von Josephs Tod träumt, den er freiwillig herbeiführt, indem er sich in einen Sarg legt und erstickt, erfasst sie Panik. Sie ist eine rationale, nüchterne Frau, eine Bibliothekarin, die das Kategorisieren verinnerlicht hat: “Sie weiß, wohin ein Buch gehört. Sie kategorisiert es, versieht es mit einer Signatur, bestimmt den Platz im Regal und die Links für die Internetrecherche. Es ist die Basis ihres Jobs, und mit Menschen verhält es sich nicht anders als mit Büchern.” Helens Leben ist auffällig leer, geradezu trostlos, ihre Ehe mit dem betrügerischen Ehemann geschieden, und sie weiß, was alle denken: “Es hat so kommen müssen mit ihr und der Einsamkeit.” Der junge, dicke Fernsehkoch Paco stellt ihr nach, und da die Mutter im Krankenhaus weilt, muss sie sich um Herrn Nienhaus – den sie niemals Vater nennt – kümmern. Die Angst vor Josephs unmittelbarem Tod bringt die kühle Helen aus der Fassung und zwingt sie dazu, die Augen zu öffnen und den Blick dorthin zu richten, wo all die Jahre nur Schatten war.
Die deutsche Autorin Husch Josten hat mit ihrem Erstlingswerk In Sachen Joseph ein sehr eigenwilliges, verqueres Buch geschrieben, das sich – was für Helen wohl eine Pein wäre – überhaupt nicht schubladisieren und kategorisieren lassen will. Ihr Schreibstil ist stellenweise elegant, dann wieder überladen, die Mischung aus fließenden Sätzen und abgehackten Wort-Punkt-Kombinationen ohne Verb ist irritierend, wie ein Auto mit ruckelndem Motor. Dies ist keine Sprache zum Schwelgen, sie ist klobig und zäh. Was die Beziehung zwischen Helen und Joseph betrifft, so bereitet sie mir von Anfang an Unbehagen, die Lektüre wirft eine Menge Fragen auf, warum treffen die beiden einander nie, wieso ist Joseph überhaupt nicht greifbar, weshalb gibt es kaum Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse? Ich wundere mich, was das für eine Freundschaft sein soll – und komme recht bald zu einer Überzeugung, die sich letztlich als richtig herausstellt. Das macht eine Bewertung nun heikel, denn obwohl ich die Konstruktion der Handlung durchschaubar fand und nicht überrascht war, ist der Roman dennoch sehr gefinkelt und wird mit Sicherheit viele Leser in Erstaunen versetzen und ihnen gefallen – wie etwa Ada und flattersatz. Es ist daher höchst subjektiv, wenn ich sage, dass der Handlungsverlauf bei mir keine Begeisterung ausgelöst hat. Sehr subjektiv ist auch, dass Helen für mich eine zutiefst unsympathische und uninteressante Frau ist, deren Schicksal – wenn man bei all der Ereignislosigkeit in ihrem Leben überhaupt von Schicksal sprechen kann – mich gleichgültig lässt. Dies ist kein Buch über Freundschaft im eigentlichen Sinne, eher über Einsamkeit und Stille, über die schweren Lasten, die von einer Generation an die nächste weitergegeben werden, über Fantasie und die Tatsache, dass nun einmal niemand das Alleinsein erträgt. Es widerstrebt mir, dieses Buch zu verunglimpfen, da ich glaube, dass es durchaus lesenswert ist – nur eben leider nicht mein Fall.
Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge: das Cover ist okay, mit der Schrift Borgis Joanna MT verwendet bup eine sehr schöne Serifenschrift.
… fürs Hirn: die Wahrheit hinter allem und ihre Bedeutung. Die Tragik, die Tragik!
… fürs Herz: die schreckliche Geschichte aus Herrn Nienhaus’ Kindheit, die er Helen schließlich offenbart.
… fürs Gedächtnis: in meinem Fall nur der ungewöhnliche Vorname der Autorin.
In Sachen Joseph ist erschienen bei Berlin University Press (ISBN 978-3-86280-001-8, 19,90 Euro.)