Das Leben eines Taubstummen im Iran
Aga Akbar lebt in dem kleinen Bergdorf Safran Mountain im Iran, wo das Leben hart ist und der Glaube streng. Aga Akbar ist taubstumm geboren worden, kann sich aber mit seiner Mutter, seinem Onkel und den Dorfbewohnern in einer sehr einfachen Zeichensprache verständigen. Sein Onkel nimmt Aga unter die Fittiche, ermöglicht ihm eine Ausbildung als Teppichflickkünstler und organisiert ihm eine Ehefrau. Der Ich-Erzähler, Agas Sohn Ishmael, fungiert seit seiner Geburt als Sprachrohr für den Vater. Doch Ishmael ist intelligent und wissbegierig, er geht an die Universität und entfernt sich nicht nur räumlich, sondern auch in Bezug auf den geistigen Wissensstand von Aga. Und als er in Kontakt mit revolutionärem politischem Gedankengut kommt, bringt er seinen naiven Vater sogar in große Gefahr. Jahre später lebt Ishmael im Exil in Holland und versucht, das Leben von Aga Akbar anhand von dessen Notizbuch zu rekonstruieren. Allein: Die Sprache, in der die Aufzeichnungen geschrieben sind, existiert gar nicht.
Kader Abdolah zeichnet in My father’s notebook mittels zweier unterschiedlicher Figuren ein Bild des Iran: Der taubstumme Aga Akbar steht für blinde Religiosität und veraltete Normen, sein Sohn Ishmael verschreibt sich der Moderne und der Revolution. Er engagiert sich gegen den Shah und muss schließlich fliehen. Die Beziehung zwischen Vater und Sohn ist schwer zu charakterisieren, Aga tut alles für sein Kind, ist aber gleichzeitig aufgrund seiner Behinderung in extremem Maß von ihm abhängig. Die Diskrepanz zwischen dem Analphabeten und dem Akademiker ist groß. Im Exil in Holland setzt sich Ishmael mit den Gefühlen für seinen Vater auseinander: Unverständnis, Aufopferung, Liebe. Dass Aga sein Notizbuch in “cuneiform”, einer komplett erfundenen Schrift, gefüllt hat, fand ich zu Beginn des Buchs faszinierend. Aber wie entschlüsselt Ishmael diese Schrift? Der Autor hat doch glatt ganz elegant vergessen, das zu erklären, was mich enttäuscht hat, weil es dann doch recht unrealistisch wirkt.
Kader Abdolah erzählt eine interessante Geschichte, die jedoch keine Ecken zum Festhalten hat und mir nicht im Gedächtnis bleiben wird. Der Autor, der wegen politischer Verfolgung unter einem Pseudonym schreibt, hat Autobiografisches in diesem Roman verarbeitet. Stilistisch gesehen hat er eine solide Leistung abgeliefert, inhaltlich unterscheidet sich dieses Buch kaum von den vielen anderen Romanen über islamische Diktaturen und politisches Aufbegehren.
Lieblingszitat: “Sometimes you have to be patient. If whatever it is you’re doing doesn’t seem to be working out, leave it for a while. That way you give life a chance to sort itself out.”