Eine Riege an Autor:innen hat Herausgeberin Selma Wels versammelt, und sie alle haben einen Brief geschrieben. An jemanden aus der Vergangenheit oder der Gegenwart, an jemanden aus der Verwandtschaft oder dem Freundeskreis. Sie erzählen in diesen Briefen, wie es war, mit Migrationshintergrund aufzuwachsen, anders zu sein, dazugehören zu wollen, in der neuen Heimat und in der alten auch. Sie erzählen, wer ihnen geholfen hat und wer nicht, was gut war und was saumäßig schlecht. Sie heißen beispielsweise Shida Bazyar und Sibel Schick, Sharon Dodua Otoo und Nava Ebrahimi. Sie haben verschiedene Namen und eine unterschiedliche Herkunft, und doch haben sie etwas gemeinsam: Sie versuchen, in diesen Briefen zu ergründen, wie ein gleichberechtigtes Miteinander im heutigen Deutschland geschehen kann, wie es gestaltet werden kann. Wie geht man um mit der Feindseligkeit? Wie identifiziert man sich, wo ist das eigene Ich zuhause? Welche Steine wurden einem in den Weg gelegt, die für andere beiseite geräumt wurden?
Diese Sammlung von Selma Wels, die nach dem rassistischen Anschlag in Hanau 2020 zum ersten Mal in einem Gespräch mit der Idee konfrontiert wurde, ein solches Buch zu veröffentlichen, ist eine Annäherung. Voller Selbstreflexion und Ehrlichkeit. Sie ist eine Anklage und ein berechtigter Vorwurf, eine Vielfalt an Stimmen, die alle dasselbe sagen: dass dies kein Land ist, das Menschen mit offenen Armen empfängt. Dass es aber dennoch das Land ist, dem sie sich verbunden fühlen, in dem sie bleiben, in dem sie anders bleiben. Weil es ihr Zuhause ist. Dies ist ein wichtiges, interessantes, emotionales Buch, das einen Gegenpol bildet zu dem Rassismus, der unsere Gesellschaft bestimmt. Es ist ein Friedensangebot – das ausgerechnet von jenen kommt, von denen die Angriffe nicht ausgehen, eine offene Hand ist es, eine Bewegung, die zu einer Umarmung werden kann, wenn sie erwidert wird.