Bücherwurmloch

Daniela Dröscher: Lügen über meine Mutter

„In dem Kammerspiel mit Namen Familie wird das Kind nicht selten zum Blitzableiter der Kräfte, denen die Frau im Patriarchat unterworfen ist“

Wir schreiben die 1980er und sehen eine sogenannte ganz normale Familie, bestehend aus Vater, Mutter, Kind. Die Tochter erzählt, wie sie aufwächst, in einem Mehrgenerationenhaus mit den Großeltern väterlicherseits und mit der gleichaltrigen Nachbarin, die ihre Großcousine ist und aufgrund von Familienstreitigkeiten im Haus nur geduldet wird, und sie berichtet von der Dynamik, der die Ehe ihrer Eltern unterworfen ist und die in erster Linie aus dem Blick des Vaters auf die Mutter besteht, denn er findet sie zu dick. Das Gewicht, das Aussehen der Mutter bestimmt alles: In den Augen des Vaters ist sie nicht vorzeigbar und deshalb schuld an allem, was ihm verwehrt bleibt, die Beförderung, die Anerkennung im Dorf, das gute Leben. Wie absurd diese Verknüpfung ist, fällt dem Mädchen lange nicht auf, weil es dem kleinen System Familie nicht entkommen kann. Doch das Buch hat auch essayistische Einschübe aus Erwachsenensicht, die der kindlichen Perspektive eine moderne Betrachtung aus dem Heute hinzufügen, die Geschehnisse von damals einordnen und Kritik am Patriarchat üben.

„Doch eine einzelne Frau kann sich nicht um unendlich viele Menschen kümmern. Empathie und Sorge sind begrenzte Ressourcen.“

Daniela Dröscher hat einen eindrucksvollen, runden Roman geschrieben über Körperlichkeit und die Objektifizierung des Weiblichen, über kindliche Scham und Care-Arbeit, über Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft, die sich eins zu eins auf den Familienverband übertragen lassen. Der Vater in diesem Buch ist toxische Männlichkeit in Reinkultur, die Mutter versucht mit aller Kraft und über Jahrzehnte, sich gegen ihn und letztlich gegen das System zu stemmen – während sie von der Last, sich um die Kinder, die demente Mutter, den Haushalt und das Geldverdienen kümmern zu müssen, langsam in die Knie gezwungen wird.

„Man nennt die Krankheit auch eine in den Körper geweinte Depression.“

Ein feines, kluges, gar nicht mal so leises Buch, das nachdenklich und wütend macht – und zeigt, dass wir ins Sachen Fettphobie noch sehr, sehr viel zu tun haben. 

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