Bücherwurmloch

Goldie Goldbloom: Eine ganze Welt

„Wenn du nicht alt sein willst, musst du dich aufhängen, solange du jung bist“
Surie ist ein angesehenes Mitglied der chassidischen Gemeinschaft in Brooklyn. Sie ist 57 Jahre alt, hat zehn Kinder, Dutzende Enkelkinder – und sieht sich plötzlich mit der Information konfrontiert, dass sie mit Zwillingen schwanger ist. Völlig überfordert, ist sie nicht in der Lage, ihrem Mann Yidel davon zu erzählen, obwohl sie eng mit ihm verbunden ist. Aber da gibt es einen alten Kummer in ihrem Leben, über den sie nicht sprechen darf und der es ihr verunmöglicht, über die Babys in ihrem Bauch, der immer dicker wird, zu reden. Als gläubige Jüdin kann sie an Abtreibung nicht einmal denken. Sie hat Angst, dass ihre Söhne keine gute Frau finden werden, wenn ihre Schwangerschaft bekannt wird, dass die Familie weiter an Ansehen verliert, dass sie verspottet und verachtet wird. Was also tun in dieser Situation, in der sie nur falsch handeln kann?

Goldie Goldbloom ist in Australien geboren und hat sich bewusst für den Chassidismus entschieden. Das ist ungewöhnlich (und ich hielt es auch für unmöglich, weil ich dachte, dass man zum ultraorthodoxen Judentum nicht konvertieren kann), und ihre Lebensgeschichte hat mich so fasziniert, dass ich mir mehrere Interviews mit ihr angesehen habe. Sie hat acht Kinder und lebt selbst in Brooklyn. Da chassidische Juden nur von dieser Gemeinschaft erzählen, wenn sie ihr den Rücken gekehrt haben, wollte sie ein Buch aus der Mitte dieses strengen Glaubens schreiben – mit einer, wie ich finde, sehr spannenden Ausgangssituation. Misogyne und homophobe Regeln verhindern, dass Surie einen Beruf ergreifen kann, dass ihre Töchter und Enkelinnen studieren dürfen, dass ihr Sohn am Leben bleiben konnte. „Eine ganze Welt“ ist ein kraftvolles, intelligentes und den Horizont erweiterndes Buch, zu dem das angekitschte deutsche Cover nicht im Geringsten passt, zumal es für chassidische Jüdinnen ein Unding ist, auch nur einen Zentimeter Bein an den Knöcheln zu zeigen. Wir haben ein massives Problem mit diesen Bild- und Farbmarkern, die Romane als „Frauenliteratur“ kennzeichnen und dadurch als seicht und weniger wichtig darstellen sollen. In anderen Ländern hat Goldie Goldbloom für viel mehr Furore gesorgt – absolut zu Recht. Sehr gutes Buch!

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