Bücherwurmloch

Laura Dürrenschmidt: Es gibt keine Wale im Wilmersee

„Ich habe immer gedacht, still zu sein wäre etwas Gutes“

„Ich will mich manchmal nicht erinnern. Aber das Vergessen, das hab ich mir abgewöhnt.“ Also erinnert sie sich: die Erzählerin, die ihren Namen als Kind im Wilmersee verloren hat. Sie weiß alles, nur gibt sie es nicht preis. Zumindest nicht gleich, sondern stückweise. Denn das Sprechen hat sie sich auch abgewöhnt. Wobei ohnehin nicht viel gesprochen wurde in dieser Familie, in der nicht nur ein Name im See verlorenging, sondern auch ein ganzes Kind: Alice, die im Eis eingebrochen und ertrunken ist. Das ist lange her, und trotzdem beherrscht dieser Verlust alles. Eine Stille liegt in dem Haus, der Vater und die Mutter sind fort, Ingrid ist ebenfalls weg, aber auf geheimnisvolle Weise noch da, bleiben also die Namenlose und ihr Bruder, bis Jora auftaucht. Sie steht einfach vor der Tür, ist neugierig und anders und lebendig und bringt ein eigenes Geheimnis mit, denn so ganz zufällig kommt Jora nämlich nicht an den Wilmersee.

„Lügner finden immer zu anderen Lügnern, am Rand unserer Welt.“

Laura Dürrschmidt hat eine traurige, melancholische Geschichte geschrieben, die dem Gewässer ähnelt, an dem sie spielt: An manchen Stellen ist sie still, an anderen tiefgründig. Sturm zieht keiner auf, stattdessen gibt es viel Nebel, alles bleibt undurchsichtig, unklar, vor allem unausgesprochen. Anhand von Sprachlosigkeit lässt sich, wenn man die Worte dafür hat, viel erzählen in einem Roman, und Laura Dürrschmidt hat sie – auch wenn sie sich sehr oft wiederholt und viele Schleifen zieht. Ihrer sehr passiven, stummen, in den eigenen grausigen Erinnerungen versunkenen Protagonistin hat die Autorin eine Gegenspielerin gestellt, die gerade anders genug ist, um interessant zu sein, und gleichzeitig ähnlich genug, um eine große Anziehungskraft auszuüben. Der Schluss ist logisch und gut gemacht, ohne dabei allzu vorhersehbar zu sein. Einige Sätze im Buch fand ich regelrecht zauberhaft, andere sehr holprig, so Formulierungen, über die man klassischerweise sagt „da wollte sie zu viel“, aber ich verstehe das, denn ich will auch oft zu viel. Generell habe ich dieses tieftraurige Debüt sehr gern gelesen, und Laura Dürrschmidt hat immerhin geschafft, dass ich – und das sage ich nur sehr selten – gespannt bin, was noch von ihr kommen wird.

Es gibt keine Wale im Wilmersee von Laura Dürrschmidt ist erschienen im ecco Verlag.

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