„Ich wollte, du wärst jetzt hier, bei mir, ich möchte mit dir reden, wie man schreibt, ich möchte, dass du mir vergibst, was niemand mir vergeben hat“
„Ich heiße Pauline Dubuisson, und ich habe einen Mann getötet.“ Es war ein spektakulärer Mordfall und ein noch spektakulärer Prozess: Mit 21 Jahren wurde Pauline Dubuisson 1950 für den Mord an ihrem Ex-Verlobten Felix verurteilt. Eigentlich zum Tode, doch nach einer langjährigen Gefängnisstrafe kam sie frei. Ihr Vater, an dem sie sehr hing, beging kurz nach ihrer Festnahme Selbstmord. Nachdem sie den Film gesehen hatte über ihr Leben, den Film mit Brigitte Bardot, floh sie aus dem Land und lebte fortan in Marokko, wo sie sich André nannte und ein neues Glück fand. Zumindest ein kurzes Glück, denn als sie dem Mann, in den sie sich verliebt hatte, erzählte, wer sie war, reagierte er wie alle Männer in ihrem Leben: Er erniedrigte sie, er ließ sie im Stich.
Der französische Autor Jean-Luc Seigle hat sich einer wahren Geschichte angenommen und ein fiktives Buch darüber geschrieben: Er lässt Pauline Dubuisson erzählen. Er lässt sie so zu Wort kommen, wie niemand es in ihrem Leben getan hat. Um ihrer Familie zu helfen, hat sie im Zweiten Weltkrieg im besetzten Frankreich für einen deutschen Arzt gearbeitet und wurde nach Kriegsende von einem wütenden Mob, der ihr nach dem Leben trachtete, geschlagen, geschoren, beinahe getötet. Sie wurde derart brutal mehrfach vergewaltigt, dass das Sterben nicht mehr nur eine Möglichkeit, sondern schon fast eine sichere Tatsache war. Massiv traumatisiert, begann sie ein Medizinstudium – und traf auf Felix. In den sie sich verliebte. Den sie brauchte, um zu heilen. Der sie erneut verletzte, so tief wie alle, tiefer noch vielleicht.
Und dieses Buch ist keine Rechtfertigung, ist kein Reinwaschen von Schuld. Es ist ein Bericht, ein Aufzeigen der Wahrheit, die keinen Platz gefunden hat in dieser Welt – weil diese Welt von Männern dominiert wird. Und weil es die Wahrheit einer Frau war. Was Pauline Dubuisson angetan wurde, ist kaum in Worte zu fassen – Chapeau, dass Jean-Luc Seigle es versucht hat. Dass er sich herangewagt hat an diese Dunkelheit, aus der seine Protagonistin schreibt. An manchen Stellen ist sein so Buch so heftig, so intensiv und schlimm und tragisch, dass ich aufhören musste zu lesen. Ich hatte Brechreiz und Herzrasen und Gänsehaut. Nichts sollte mich noch überraschen an dieser Menschheit, und doch: Manchmal trifft mich das, was sie tut, mitten ins Herz. Wie die Geschichte von Pauline.
„Ich hatte noch nicht verstanden, dass nicht die Liebe oder das Begehren oder die Sexualität eine Frau ausmacht, sondern ihre wunderbare Fähigkeit, dem Leben zu trotzen und es zu verwandeln, wie kein Mann es je könnte.“
Ich schreibe Ihnen im Dunkeln von Jean-Luc Seigle ist erschienen bei C. H. Beck (ISBN 978-3-406-69718-0, 207 Seiten, 19,95 Euro).
Hallo!
Meine Mutter hat dieses Buch vor einer Weile gelesen und war ebenfalls begeistert, seitdem steht es in meinem Regal und wartet darauf, auch von mir gelesen zu werden. Deine Rezension trägt einen ordentlichen Teil dazu bei, dass ich gerade das ganz dringende Bedürfnis verspüre, zuzugreifen. 🙂 Danke dafür!
Liebe Grüße!
Gabriela
Ich bin so gespannt auf deine Meinung, du musst mir dann berichten!