„In North Carolina gab es die schwarze Rasse nur an den Enden von Stricken“
Bevor ich nach North Carolina zurückgekommen bin, hatte ich auch noch nie gesehen, wie ein Mob einen Menschen in Stücke reißt. Wenn man das gesehen hat, sagt man nicht mehr, was Menschen tun werden und was sie nicht tun werden.
Und etwas, das Menschen nicht tun, das gibt es nicht, sie tun alles, was einem einfallen kann, wie grausam und vermeintlich unmenschlich es auch sein mag. Und grausame Taten gibt es zur Genüge in diesem Buch, es besteht aus solchen Taten, es ist aus ihnen gebaut, denn es geht in Underground Railroadvon Colson Whitehead, ausgezeichnet mit dem National Book Award und mit dem Pulitzerpreis, um die Sklaverei. Schon seit langer Zeit beschäftigt mich die Tatsache, dass der Mensch jemals auf die Idee gekommen ist, einer sei mehr wert als der andere, die Farbe der Haut habe eine Bedeutung, und egal, wie viele Erklärungen ich dafür im Lauf meines Lebens gelesen habe, wirklich begriffen habe ich das nie. Dieses Erhöhen der einen über die anderen, obwohl wir alle dasselbe Blut haben und Knochen und ein Herz, obwohl wir alle dasselbe empfinden und sehen und wollen, obwohl wir eine Einheit sein könnten und sollten, das leuchtet mir nicht ein – und das wird es auch nie tun.
Wenn ich ein Buch wie dieses lese, das aufbereitet, was Menschen über Jahrhunderte weg anderen angetan haben, wie sie sie verprügelt und verstümmelt, ausgebeutet und ausgepeitscht, entwertet und bei lebendigem Leib verbrannt haben, bestätigt mich das nur immer wieder in meinem Glauben, dass die Menschheit der widerwärtigste Parasit ist, den die Erde sich je eingefangen hat. Und ich hoffe wieder aufs Neue, dass er bald ausstirbt und verschwindet von diesem Planeten, damit der sich erholen kann von der Krankheit Mensch. Lange wird das nicht mehr dauern, natürlich nicht, wir sind auf dem besten Weg, uns selbst und uns gegenseitig auszulöschen und auszuradieren. Colson Whitehead erzählt durch seine Protagonistin Cora, die von einer Sklavenplantage entkommt, von den Gräueln der damaligen Zeit – doch, nein, so viel besser ist es heute nicht, da brauchen wir uns nichts vorzumachen – und von dem Kampf für die Freiheit. Einem Kampf, der auch nach dem Ende der Sklaverei noch lange nicht gewonnen ist, denn #blacklivesmatter zeigt jeden Tag, wie sehr die Menschen mit der helleren Haut sich immer noch erhöhen über jene mit dunklerer. Obwohl das doch sowas von scheißegal sein sollte.
Coras Unglück war nicht an ihre Person oder ihr Handeln gekettet. Ihre Haut war schwarz, und so ging die Welt mit schwarzen Menschen um. Nicht mehr, nicht weniger.
Sie entkommt über ein System an Untergrundeisenbahnen, das es so – man muss sagen: leider – nie gegeben hat. Der Autor selbst hat erklärt, das Buch sei kein historischer Roman, er habe es nach dem Motto geschrieben „Halte dich nicht an Tatsachen, sondern an die Wahrheit“. Die Lektüre von Underground Railroad ist schwer auszuhalten, auch wenn man kein Misanthrop ist wie ich. Denn es erzählt nun mal die Wahrheit.
Underground Railroad von Colson Whitehead ist erschienen bei Hanser (ISBN 978-3-446-25655-2, 352 Seiten, 24 Euro).
Dieses Buch steht schon eine ganze Weile auf meiner Liste, denn es wird immer wieder in Lesepodcasts erwähnt (ich wohne in den USA).
Ich kann mir vorstellen, dass es in den USA wirklich eine große Nummer ist! Bin gespannt auf deine Meinung.