„Ist nicht alles im Leben nur Vorwand?“
„Washi bedeutet: Papier des Friedens und der Harmonie.“
Mit Papier kennt er sich aus, denn seit Jahrzehnten widmet er sich seiner Herstellung: Kurogiku, den alle Herr Origami nennen, lebt in der Toskana, in einer Ruine, allein. Eigentlich kam er von Japan nach Italien auf der Suche nach einer Frau, jener Frau, in die er verliebt war. Das ist lange her. Jetzt ist er alt, doch das macht nichts, denn er lebt im Jetzt, jeden Augenblick. Und das Jetzt besteht daraus, Papier zu machen, schönes, edles, wertvolles Papier, das für Origami verwendet werden kann. Als der junge Uhrmacher Caspari zu Kurogiku geschickt wird, weil er einen Unterschlupf braucht, reden sie nicht viel miteinander und erzählen einander doch das Wichtigste. Das, worauf es im Leben ankommt.
Mach mal langsam, sagt dieses Buch, ich mach es ja auch. Jean-Marc Ceci, ein Autor, der interessanterweise gar kein Japaner ist, sondern Italiener und Belgier, hat einen Roman aus lauter Miniaturen geschrieben. Mut zum Weißraum sagt man bei uns in der Werbung, in der Grafik, und daran hat auch er sich gehalten: Sehr viel von dem Papier, das dieses Buch enthält, ist nicht beschrieben. Manchmal stehen nur wenige Zeilen auf einer Seite. Das kommt einem als Leser dann freilich auch Japanisch vor, sieht es doch irgendwie aus wie ein Haiku, stilvoll, schlicht. Garniert wird das Ganze von japanischen Schriftzeichen. Und die wecken eine alte Sehnsucht in mir: Als ich Anfang zwanzig war, hab ich versucht, Japanisch zu lernen – und bin grandios gescheitert. Ich hab an der Uni einen Sprachkurs besucht und zuhause stundenlang die Schriftzeichen geübt. Doch der Kurs, eineinhalb Stunden die Woche, war zu wenig, am Ende konnte ich nur ein paar Sätze, meinen Namen schreiben und eine Handvoll Zeichen lesen, meine Pflichtveranstaltungen kamen mir in die Quere, und ich trauere bis heute, weil ich diese faszinierende Sprache nicht beherrsche.
Umso schöner war es für mich, mit diesem Buch mal wieder einen Ausflug ins Japanische zu machen. Noch dazu einen so entspannten: Wenn ihr relaxed ins neue Jahr starten möchtet, ist Herr Origami genau das Richtige für euch. Denn die Entschleunigung stellt sich beim Lesen ganz automatisch ein. Mit seiner Art, sich auf das Essenzielle zu beschränken, gibt Jean-Marc Ceci den wenigen Worten, die er verwendet, mehr Gewicht. Alles wirkt bedeutsam. Das ist natürlich einerseits fast schon ein billiger Trick, andererseits sehr angenehm, weil man nicht so viel ablenkendes Blabla ertragen muss. Qualität vor Quantität? Ja, absolut. Handlung gibt es, das versteht sich von selbst, dadurch auch nicht viel. Und das fand ich in diesem Fall regelrecht erholsam und wohltuend: Das ist ein Buch, das sich und anderen nichts beweisen muss. Nicht mit langen, anstrengenden Sätzen, nicht mit bemühten Wortspielen, nicht mit ach so kreativen Metaphern. Mut zum Weißraum hat der Autor, Mut zu einer ungewöhnlichen Herangehensweise auch. Sehr schön, sehr empfehlenswert.
Herr Origami von Jean-Marc Ceci ist erschienen bei Hoffmann & Campe (ISBN 978-3-455-00151-8, 18 Euro, 160 Seiten).
steht noch auf meiner Leseliste
Sehr gut!
Liebe Mariki
Welch eine schöne Buchbesprechung, das hört sich wirklich sehr fantastisch an und mal nach was ganz anderem. Meine beste Freundin hat Japanologie studiert und spricht und schreibt in dieser Sprache, für mich immer wieder faszinierend!
Wünsche dir einen wundervollen Tag! <3
Oh wie toll! Das fasziniert mich auch sehr. Was macht sie denn nach diesem Studium?
Nach dem Studium hätte sie als Dolmetscherin für den Bund arbeiten können oder als Flugbegleiterin für Flüge nach Japan etc. doch sie entschied sich für eine völlig andere Richtung und machte noch eine weitere Ausbildung 🙂 ist aber doch eher schwer mit diesem Studium einen Job zu finden.
Das denk ich mir … aber ich find’s trotzdem cool, dass sie das studiert hat! Sehr beeindruckend.