Gut und sättigend: 3 Sterne

Sarah Kuttner: 180° Meer

Kuttner„Ohne Wut wäre ich vielleicht ein schönerer Mensch, aber auch weniger Mensch“
Jule hält sich fest an ihrer Wut, zelebriert sie, nährt sie und pflegt sie. Nachdem ihr Vater die Familie verlassen hatte, musste Jule sich um den kleinen Bruder und die unzurechnungsfähige Mutter kümmern. Eine Mutter, die sich vor ein Taxi warf – mit Jule an der Hand. Heute ist Jule erwachsen, singt in einer Bar und hat einen Freund namens Tom. Glücklich ist sie nicht, glücklich will sie auch gar nicht sein. Sie verweigert sich dem Glück, zerstört es sogar mutwillig. Als dadurch ihre Beziehung ins Wanken gerät, flüchtet Jule zu ihrem Bruder nach London. Ihr Vater, zu dem sie keinen Kontakt hat, lebt nicht weit von dort entfernt. Das Problem ist nur: Leben wird er nicht mehr lang, denn er hat Krebs. Soll Jule sich von ihm verabschieden? Wird sie ihren Frieden finden, wenn sie sich mit ihm versöhnt? Und will sie das überhaupt? „Ich will die Dinge nicht klar sehen“, sagt sie selbst dazu, „sie sehen klar nur noch hässlicher aus.“

Mit Sarah Kuttner hatte ich bisher noch nie zu tun. Dass es die gibt, das wusste ich freilich, auch, dass sie hübsch ist und erfolgreich und witzig. Von ihren Büchern hatte ich jedoch keins gelesen und ihre jetzige Sendung noch nie angeschaut. Dann schwärmte Tobias vom Buchrevier von ihr und ich dachte: Stimmt ja, Sarah Kuttner! Warum eigentlich nicht. Jetzt kann ich sagen: Unterhaltsam war das allemal. Und ein bisschen lehrreich. Und ein bisschen lebensklug. Vielleicht nicht an allen Stellen stilistisch einwandfrei, aber generell ein angenehmer Roman, der sich gut weglesen lässt, dabei aber authentisch und glaubwürdig bleibt, ohne ins Pathos abzudriften.

Protagonistin Jule ist eine, die alles zerdenkt. 180 ° Meer gleicht deshalb zum Großteil einem inneren Monolog, der sich dreht und dreht. Das ist stellenweise durchaus anstrengend, und Jule ist wirklich kein angenehmer Mensch. Sie findet alles scheiße, in erster Linie das eigene Leben und sich selbst. Ich würde die ja nicht in meiner Nähe haben wollen. Das alles weiß sie auch ganz genau, und sie will sich nicht ändern. Wenigstens darin ist sie beeindruckend konsequent. Was mir an 180 ° Meer gefällt, ist das Unsentimentale, das Kitschige, das Scheißegale. Das macht das Buch sehr lebensnah und sympathisch. Ein Setting wie dieses – der Vater stirbt, das große Verzeihen steht an – gibt es in Büchern tausendfach, aber Sarah Kuttner spendiert gegen Ende eine unerwartete Wendung und lässt das Leben so sein, wie es eben ist: beschissen. Also. Sarah Kuttner? Warum eigentlich nicht!

180 ° Meer von Sarah Kuttner ist erschienen bei S. Fischer Verlage (ISBN 978-3-10-002494-7, 18,99 Euro). Mehr über das Buch erfahren könnt ihr auf standard.at, readpack.de und buzzaldrins.de.

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