„Eine Umklammerung, die nach außen wie eine Umarmung wirkte, der man den Würgegriff aber nur nicht gleich ansah“
Immer wenn Marianne von der Schule kam, musste ihr Bruder Hans an der Teppichstange Klimmzüge machen. Und weil er dazu zu wenig Kraft hatte, gab es Prügel. Wenn der Vater betrunken war, gab es auch Prügel. Oder wenn er glaubte, die Mutter betrüge ihn. Eigentlich gab es immer Prügel. Er war ein gefährlicher Mann, gewalttätig und verschlagen, er arbeitete in einer Nerzfabrik, züchtete dort die Tiere, tötete und häutete sie. Abends kroch Hans mit seinem wunden Körper in Mariannes Bett. Doch dann fand Marianne eher unfreiwillig einen Ausweg aus der Hölle ihres Elternhauses und zog nach Berlin. Erst jetzt, viele Jahre später, kommt sie nach Hause zurück: weil der Vater beerdigt wird.
Die junge deutsche Autorin Kerstin Preiwuß, die bisher mit Gedichten auf sich aufmerksam machte, erzählt in ihrem Debütroman eine Geschichte, die so deprimierend ist, dass ich mich beim Lesen in Embryostellung einrollen möchte, um irgendwie Trost zu finden. Der prügelnde Vater macht den Protagonisten die Kindheit zum Alptraum, und die Erinnerung daran erweist sich das ganze weitere Leben als Klotz am Bein. Berichtet wird aus der Perspektive der Tochter: In der Gegenwart ist sie das Ich, in der Vergangenheit, als Kind, ist sie Marianne. Nur glücklich ist sie nie – aber wie könnte sie das auch bei all den Erlebnissen voller Gewalt, Alkohol und Hilflosigkeit, die sie mit sich herumschleppt. Kerstin Preiwuß beschreibt eine Familie, in der Angst und Gleichgültigkeit regieren. Der herrische Vater schafft es, auch die Beziehungen zwischen der Mutter und den Kindern sowie zwischen Bruder und Schwester zu beeinträchtigen. Die Mutter, die sich möglichst unsichtbar macht, nie Widerstand leistet oder den Kindern hilft, ist später ständig am Jammern und rechtfertigt sich mit lahmen Ausreden wie „Es war nicht alles schlecht“. Und während die Geschwister einst zusammengehalten haben, haben sie einander jetzt nichts mehr zu sagen: Hans ist ein verbitterter Mann, der im Elternhaus geblieben ist und seine Schwester nicht einmal sehen will.
Kerstin Preiwuß ist Absolventin des Leipziger Literaturinstituts und hat schon in Klagenfurt gelesen. Sie bedient sich der Beiläufigkeit, um große Grausamkeit abzubilden. Sie tut dies so leicht und geschickt, dass man meint, sie erzähle von etwas Schönem – nur dass es in Restwärme nichts Schönes gibt. Missbrauch, Traurigkeit und Schweigen sind vorherrschend. Das muss man aushalten können, und wenn man es kann, wird man mit einem feinen, klugen, ausgezeichnet geschriebenen Roman belohnt, der sich gut liest und eine erschütternde Wirkung hat. Vielerorts wird der Schreibstil als ungewöhnlich und anstrengend bezeichnet, ich habe das allerdings nicht so empfunden. Die Sprache ist poetisch, knallhart und ebenso scharf wie der Inhalt. Zieht euch beim Lesen warm an, denn von Restwärme ist in diesem Buch nichts zu spüren – es hätte eher Eiseskälte heißen sollen. Es macht Gänsehaut im Kopf.
Restwärme von Kerstin Preiwuß ist erschienen im Berlin Verlag (ISBN 978-3-8270-1231-9, 224 Seiten, 18,99 Euro).
Noch mehr Futter:
– „Umso kraftvoller wirken jedoch die knappen, lakonischen Dialoge, die sie immer wieder einschiebt, sowie die zahlreichen Natur-Metaphern. Ähnlich wie der verrätselte Titel Restwärme sind sie anspielungsreich, aber nicht eindeutig zu entschlüsseln. Es brodelt unter ihrer Oberfläche“, heißt es auf spiegel.de.
– „Es gibt nur wenige tröstliche Stellen in Kerstin Preiwuß’ Roman Restwärme“, meint The daily frown.
– „Immer wieder begegnen einem in Restwärme Bilder, die den Kampf illustrieren, immer wieder siegt der Mächtige über den Schwächeren“, schreibt Sophie auf Literaturen.
– Hier könnt ihr das Buch auf ocelot.de bestellen.
Ich glaube die Geschichte ist mir zu deprimierend….Kein neues WuLi-Buch…
Dass sie deprimierend ist, kann ich leider nicht abstreiten!
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