Eine Geschichte vom Scheitern
„Es ist die Liebe, die die Maisonettewohnung nicht verlässt, und manchmal ähnelt ihnen das Zimmer, ein Durchgangszimmer, ein bisschen zusammengestückelt, eine fröhliche Unordnung, die Spuren einer glücklichen Liebe.“ Allerdings ist es eine Liebe, die nicht sein darf, die nur kurz aufflackert und verlischt: Suzanne, die Klavierstimmerin, und Serge, der Luxusmakler, sind verheiratet. Allerdings nicht miteinander. Serges Frau Lucie ist viel jünger als er, wunderschön, Mutter seiner zwei kleinen Kinder. Suzannes Mann Antoine ist lieb und verlässlich. Aber dann sind da all die verspielten Möglichkeiten: Suzanne hätte Pianistin werden können. Sie hätte Kinder haben können. Serge hätte eine schöne Kindheit und eine Mutter haben können. Für eine Weile leben sie diese Träume, in einem Paralleluniversum, sie schlafen in einer leer stehenden Wohnung miteinander, um all diese Möglichkeiten zu spüren. Ein verbindendes Element ist dabei auch das Klavier als ein Musikinstrument, mit dem Suzannes arbeitet und das Serges Kindheit prägte. Doch während Suzanne den Mut hat, ihre Konsequenzen aus dieser Liebe zu ziehen, verstrickt sich Serge komplett in seiner eigenen Vergangenheit und durchlebt erneut das Furchtbare, das geschehen ist, als er acht Jahre alt war. Was ihnen bleibt, ist der Moment, die Sehnsucht, die Erinnerung: „Bereits an jenem Tag war ich Serge begegnet. Schon seltsam, wie ein Nichts ausreicht, damit ein Leben verstimmt wird, damit unser so einzigartiges, so kostbares Dasein seine Harmonie und seinen Wert einbüßt. Als bestünde es aus Luft und nichts anderem. In diesem Haus lebte ein Mann, von dem ich nichts wusste, nichts kannte, außer der Frau und dem Klavier, ein Mann, dessen Rasierwasser zu süß, dessen Anzug zu dunkel war, und bevor wir uns begegneten, wussten wir es nicht, aber wir hatten beide nichts anderes getan, als auf schmalen Holzbrettern über den Sumpf zu laufen.“
Véronique Olmi ist eine der bekanntesten Roman- und Theaterautorinnen Frankreichs. Ihr neuestes Buch ist die Geschichte einer Affäre, die Geschichte einer kurzen Liebe, die sehr nüchtern betrachtet wird. Protagonistin Suzanne bekommt die Ich-Perspektive, das Hauptaugenmerk liegt jedoch auf Serge. Er ist es, der alles initiiert, nachdem er Suzanne in einer Bar hat tanzen sehen. Er findet sie nicht attraktiv, sie ist ihm zu alt und zu gewöhnlich. Trotzdem wartet er den ganzen Tag vor ihrem Haus, küsst sie unvermittelt, schläft mit ihr. Von da an treffen sie sich für Sex, versprechen einander nichts, haben immer nur ein bisschen gestohlene Zeit. In beiden löst die Affäre völlig unterschiedliche Dinge aus: Suzanne versinkt in Melancholie, sie sieht die verpassten Chancen in ihrem Leben, das ihr plötzlich nicht mehr genügt. Serge dagegen taucht ein in seine traumatische Vergangenheit, weil er in Suzanne endlich jemanden gefunden hat, bei dem er diese belastende alte Geschichte abladen kann. Er ist egozentrisch, blind für Suzannes Liebe, blind für Lucies Gefühle. Und diese Last, die er mit sich trägt, die mit dem Tod seiner Mutter und der Grausamkeit seines Vaters zu tun hat, ist mir viel zu dramatisch. Da tut sich ein Abgrund auf, der mir unpassend tief erscheint, eine inhaltliche Diskrepanz zwischen den beiden Handlungssträngen, die nicht vereinbar sind, ein seltsames Hin und Her im Roman, der keine Balance findet. Das gilt allerdings nur für den Inhalt, sprachlich ist das Buch absolut ausgewogen, fein abgestimmt, poetisch.
Das Glück, wie es hätte sein können ist – der Titel verrät es schon – ein unheimlich deprimierendes Buch, traurig, melancholisch. Denn das Glück existiert nur im Konjunktiv und somit gar nicht – allerdings schimmert es stellenweise schwach durch, was wohl am schlimmsten ist. Das zwischen Serge und Suzanne ist kein Glück, ich möchte es so, wie Véronique Olmi es darstellt, nicht einmal Liebe nennen, mehr ein Aufbegehren gegen den festgefahrenen Alltag, einen weiteren Beweis, dass der Mensch nicht für die Monogamie geschaffen ist. Nur versucht vor allem Suzanne, unter den Deckmantel der Liebe zu schlüpfen, obwohl es dort für beide keinen Platz gibt. Die Geschichte wird dominiert von Unehrlichkeit und Schweigen, dem Wunsch nach Dingen, die nicht zu haben sind, und dem Gefühl des Scheiterns. Dies ist kein tiefschwarzes Buch, aber ein sehr graues, mutloses, erschreckendes, aus dem man ganz klar die Lehre ziehen kann, die Chancen, die das Leben gibt, zu nutzen.
Das Glück, wie es hätte sein können von Véronique Olmi ist erschienen im Antje Kunstmann Verlag (ISBN ISBN 978-3-88897-927-9, 223 Seiten, 19,95 Euro).
Noch mehr Futter:
– Eine Rezension auf spiegel.de beschreibt das Buch als eindringlich-düster, intim, aber auch dick aufgetragen.
– „Im zehnten Roman von Véronique Olmi folgt auf eine Urkatastrophe das nicht gelingende Leben“, schreibt die Frankfurter Rundschau.
– Atemberaubend elegant und betörend sensibel nennt der Durchleser diesen Roman.
– Hier könnt ihr das Buch bei ocelot.de bestellen.
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Véronique Olmi hat wohl immer ähnliche Themen. Ich habe hier noch ein älteres Buch von ihr stehen: In diesem Sommer.
„die Chancen, die das Leben gibt, zu nutzen“ und woher wissen, welche DIE Chance ist? Schwierig, schwierig …
Oh, in der Tat, das klingt ähnlich. Ich bin gespannt, wie du das Buch findest! Schreiben kann sie wirklich ausgezeichnet, und ich fand das Buch ja auch sehr gut, nur eben ein bisschen zu dramatisch mit der toten Mutter, dem ermordeten Liebhaber und – uff.
Ja, Véronique Olmi ist ein Thema für sich…
Von mir kommt auch noch ein Beitrag über sie – bezogen auf “Meeresrand” und “In diesem Sommer”.
Herzliche Urlaubsgrüße vom Meeresrand in diesem Sommer 😊
Sonja
Oh, da bin ich schon neugierig. Ich kannte bisher nichts von ihr und bin im schönen Kunstmann-Programm auf das Buch gestoßen. Am Meeresrand wär ich jetzt auch gern 😉
Voilá, Mariki, pour toi😄:
http://lustzulesen.de/veronique-olmi-et-moi/