„Nur der Horizont kommt nicht näher, alle anderen sind Verräter“
„Kennen Sie das Gefühl nicht? Vom Meer, vom Blick auf diese Endlosigkeit?“ Nun ja – nein. Denn Horowitz, der Meeresforscher, der alles, alles weiß über die Ozeane, war überhaupt noch nie am Meer. Er ist alt, müde, gescheitert, hat sein Lebenswerk nicht vollendet und hofft, dass ein Tapetenwechsel ihm hilft. Er tauscht seine Wohnung mit Ella, einer jungen Frau, die er nicht kennt, die sich spontan auf eine Annonce gemeldet hat, weil ihr gerade alles ein bisschen auf den Kopf fällt. Sie ist verliebt in Paul, der nach dem ersten Kuss einfach gegangen ist, sie wird Zeugin von Natalias Unfall, muss ihren ersten richtigen Job anfangen und sich ihre Träume bewahren. Das ist alles ein bisschen schwierig und wird auch in Horowitz‘ verrückter großer Wohnung, die der Nautilus gleicht, nicht einfacher: Ella will über ihre Gefühle nicht reden, sie will keinen Kontakt zu ihrer Mutter, die mehr ein Schmetterling war als eine Versorgerin, und sie will sich der Welt nicht preisgeben. Aber die Liebe treibt ihr eigenes Spiel mit Ella und auch mit Horowitz. Denn die Liebe kann vielleicht stark genug sein, um Ella Sicherheit zu geben und Horowitz doch noch ans Meer zu bringen. Aber nur vielleicht.
34 Meter über dem Meer, der hochgelobte Roman der deutschen Autorin Annika Reich, ist ein bisschen wie Die verrückte Welt der Amélie. Obwohl Paul findet, Ella gleiche Holly Golightly aus Frühstück bei Tiffany’s, sehe ich sie als Audrey Tautou vor mir. Weil sie so entrückt, schweigsam, zurückhaltend und geheimnisvoll ist. Das ist sehr süß, sehr weltfremd und ein bisschen kitschig. Ella ist eine Figur, die man ins Herz schließen muss, die man bemitleidet und beneidet zugleich. Sie wirkt wie ein kleines Mädchen, neugierig, scheu, sie weckt sogar meinen Beschützerinstinkt, auch wenn sie für meine Verhältnisse unglaublich passiv ist. Die Idee, zwei so ungleiche Charaktere ihre Wohnungen tauschen zu lassen, und zu sehen, was passiert, finde ich sehr originell, und auch die Umsetzung ist auf jeden Fall gelungen.
Annika Reich hat ein liebes Buch geschrieben, ein harmloses, leichtes, zartes, ein Buch wie ein Stückchen Karamell. Es hat keine Ecken, keine Kanten, und das find ich, da ich das Buch im Urlaub lese, ganz ausgezeichnet und sehr erholsam. Ich mag das Kuschelige und Nachgiebige an Annika Reichs Sprache, die so schön formuliert, fabuliert, erzählt, ohne zu viel Gewicht auf möglichst prätentiöse Sätze zu legen. Das gefällt mir, und so möchte ich euch dieses Buch als wunderbare Sommerlektüre ans Herz legen, als einen Spaziergang durch einen blühenden Park, als ein bisschen fabelhafte Welt.
34 Meter über dem Meer von Annika Reich ist als Taschenbuch erschienen im S. Fischer Verlag (ISBN 978-3-596-19586-2, 272 Seiten, 9,99 Euro). Hier könnt ihr das Buch bei ocelot.de bestellen.
Andere tolle, luftig-leichte Sommerbücher:
Ada liebt von Nicole Balschun
Damals, am Meer von Marco Balzano
Als Gott ein Kaninchen war von Sarah Winman
Ach, wie schön, es steht noch da, in meinem Regal, und wartet darauf, dass ich mit ihm ins Meer tauche. Ich wusste gar nicht, dass es eine so leichte, sommerliche Lektüre ist. Tut mir sicherlich mal gut zwischen all den schweren und/oder düsteren Klötzen, die ich sonst so lese.
GENAU das hab ich mir auch gedacht 😉 Du bist ja ebenso schwermütig unterwegs wie ich. Und da tut so etwas Leichtes (ich mag nicht Seichtes sagen, das trifft es nur halb) wirklich gut. Viel Spaß beim Abtauchen 😉
Das ist eines der Bücher, dass ich schon allein wegen seines Covers kaufen könnte. 😀 Eine interessante Rezension jedenfalls. Danke für den Tipp.
Es lohnt sich auch wegen des Inhalts! 😉
Eben. Nicht schlecht, wenn Inhalt und Form sich die Hand reichen. 😀