„Anikó starb an einem Montagmorgen auf der Suche nach ihrem linken Stiefel“
Es gibt Bücher, die sind wahnsinnig angenehm zu lesen, weil alles stimmt, weil sie dahinfließen und ihre Geschichte auffächern wie einen sehr geraden Weg, dem man nur zu folgen braucht. „Wir werden fliegen“ von Susanne Gregor ist ein solches Buch. Es erzählt von Alan und seiner Schwester Miša, von ihrer Suche nach Zugehörigkeit und nach einander. Am Anfang ist es Alan, der verschwindet, seine Freundin Nora ist die Erste, die es bemerkt. Über berufliche Umwege ist er Arzt geworden, hat sich ein gutes Leben aufgebaut, wie man so schön sagt, hat es nach der Flucht aus der Tschechoslowakei und einem schweren Unfall geschafft, Fuß in Österreich zu fassen und in Deutschland. Miša dagegen ist eine, die von einer europäischen Stadt zur nächsten taumelt, sich nicht so recht einlassen kann und will auf Orte und auf Menschen. Aber die Verwandtschaft und nicht zuletzt die ähnlichen Erlebnisse bilden ein starkes Band zwischen den Geschwistern.
Ich mag Susanne Gregor und ihre Romane. Ich habe mit ihr im Literaturhaus Wien gelesen und sie als kluge, reflektierte Autorin kennengelernt. Sie hat einen feinen, literarischen Stil und beschäftigt sich immer wieder mit Familienverbandelungen und dem Gefühl des Fremdseins. Tatsächlich kommen Alan und Miša bereits in „Das rote Jahr“ vor, das 2019 erschienen ist, die Romane hängen also zusammen, können aber eigenständig gelesen werden. Susanne Gregor ist selbst in der Tschechoslowakei geboren und als Kind mit ihrer Familie nach Oberösterreich gezogen. Man spürt beim Lesen, dass ihre historischen Kenntnisse fundiert sind und die Emotionen authentisch. Sie forscht ihren Figuren sehr genau nach, zeichnet ein abgerundetes Bild und bietet ein nachvollziehbares, bereicherndes Leseerlebnis.