„Ein besserer Gott wird eins alle Frauen als Nixen zur Erde schicken, mit zusammengewachsenen Beinen“
„Sie ist eine Halbfrau, mit Männerseel“, sagen sie über Kazimira, und trotzdem kann sie nicht leben, wie sie gern möchte. Trotzdem muss sie ein Kind kriegen, obwohl sie keins will, muss Frauenarbeit verrichten, obwohl sie gern unter Tage wäre, wie die Männer. Die lösen Bernstein aus der Erde, nachdem ihnen irgendwann in den Sinn gekommen ist, aktiv danach zu suchen und nicht nur zu warten, bis es auftaucht oder angespült wird. Antas, der Vater von Kazimiras Sohn, ist einer der besten Bernsteindreher, die Figuren, die er herstellt, kann er immer gut verkaufen. Wir schreiben das Jahr 1871 und befinden uns an einem abgelegenen Ort am Baltischen Meer. Das Risiko mit der Grube lohnt sich irgendwann, so wie Moritz Hirschberg, Eigentümer der Bernsteinwerke, es sich ausgerechnet hat. Nur werden mit dem Ende des 19. Jahrhunderts im alten Kaiserreich antisemitische und nationalistische Stimmen immer lauter, und es wird immer gefährlicher. Nicht zuletzt für Kazimira, einfach, weil sie ist, wie sie ist.
„Du hast einmal gesagt, du möchtest mehr, als nur einen Ertrag bringen. Du möchtest deinen eigenen Wert.“
Svenja Leiber hat eine Figur geschrieben, die wir ganz automatisch, ohne nachzudenken, eine „starke Frau“ nennen würden. Das ist eine problematische Formulierung, die erstens impliziert, es gäbe auch Frauen, die nicht stark sind, und zweitens, dass Frauen immer eine gewisse Stärke brauchen, um zu überleben in dieser Welt. Viel eher empfinde ich es als tragisch, dass Kazimira all diesen Zwängen unterworfen ist, dass sie keine Alternativen hat, keine Möglichkeiten, und so war und ist es millionenfach der Fall für Frauen in unserem System. Ein wunderbar fein gezeichneter, stimmiger historischer Roman, der auch vom Heute erzählt, sich der Faszination von Bernstein widmet und jenen Frauen, die alles mitbringen für ein Aufbegehren – und die doch untergebuttert werden.
„Vom ersten Tag an wusste ich, dieses Mädchen ist zu eigen für einen Platz, den unserer Zeit ihm zuweisen will, und ich fürchtete den Schmerz, der ihm begegnen würde und dann begegnet ist.“