Bücherwurmloch

Marlen Hobrack: Klassenbeste. Wie Herkunft unsere Gesellschaft spaltet

„Meine Mutter existiert im toten Winkel dieser Theorien“

„Betrachtet man die Biografie meiner Mutter genauer, wird plausibel, warum eine Frau wie sie sich nicht dem Klassenkampf, den großen geschichtsphilosophischen Deutungen des Antagonismus von Proletariat und Bourgeoisie verschrieben hat: Sie hatte zu viel zu tun.“

Wenn ich auf Bühnen und in Interviews über meinen aktuellen Roman spreche, sage ich, dass ich mich viel später entschieden gegen meine patriarchal geprägte Schulbildung gestemmt und mir mühsam vieles angelesen und angeeignet habe: Das gilt immer noch. Wie in einem Privatstudium lese ich Sachbuch über Sachbuch, ausschließlich von Frauen, und alle regen sie mich zum Denken an, Marlen Hobrack ganz besonders: Aufmerksam und interessiert habe ich mich mit ihrer Analyse beschäftigt, die sie, ausgehend von ihrer eigenen Geschichte bzw. der ihrer Mutter, über die ganze Gesellschaft zieht. Wie sie vom Persönlichen ins Politische geht, wie beides sich überschneidet und gegenseitig bedingt, finde ich gut gemacht und nachvollziehbar. Sie schreibt offen, ungeschönt, sie schreibt von innen als Tochter dieser Mutter, aber auch von außen, als Journalistin, als Frau mit Zugang zu Bildung, Wissen, Theorien über Patriarchat und Klassismus. Ihre Mutter, die seit frühester Jugend hart gearbeitet hat, hat dieses Wissen nicht. Sie ist Auslöser und Grund vieler Debatten, ohne je daran teilzunehmen. Ich gebe Marlen Hobrack Recht: Der Feminismus darf die Arbeiterfrauen nicht „übersehen“. Aber auch – genauso wichtig – nicht die Männer. Das ist ein Punkt, in dem ich mit der Autorin übereinstimme: dass die Bilder vermeintlicher Männlichkeit, die wir Männern aufpressen, für die Arbeiterklasse nicht zutreffen, nie zugetroffen haben, ich behaupte sogar: Es gibt in Wahrheit überhaupt keine Männer, für die sie stimmen (und stimmen sollten). Bei anderen Punkten würde ich ihr heftig widersprechen, vor allem was die Frage nach bezahlter/unbezahlter Care-Arbeit angeht, und genau das ist so spannend: Es muss kein Konsens herrschen bei diesen Themen. Wichtig ist, dass sie auf den Tisch kommen, dass wir darüber reden, dass wir uns daran abarbeiten, um für uns alle etwas zu verbessern. Marlen Hobracks Buch kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

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