Es fängt einigermaßen harmlos an, Amalia und ihr Bruder Bodo sowie die gemeinsamen Freunde Josef und Gero unternehmen einen mehrtägigen Ausflug in ein Flussdelta. Sie mieten zwei Boote und paddeln sich quer durch die vielen Abzweige und Schleusen. Gleich am ersten Abend wird Josef rassistisch beleidigt, er ist der einzige Schwarze in der Freundesgruppe. Die anderen empören sich zwar, wollen den Ausflug aber nicht abbrechen. Das wird ihnen zum Verhängnis, denn plötzlich beginnt eine krasse Verfolgungsjagd durch unübersichtliche Gewässer, sie verirren sich heillos, können niemandem mehr trauen – nicht einmal oder schon gar nicht einander.
Meine Wahrnehmung männlicher Bücher hat sich verändert: Früher habe ich sie, dank patriarchal geprägter Schulbildung für das Maß aller Dinge gehalten, später war ich wütend und genervt, heute finde ich sie interessant und blicke mit einer gewissen Faszination darauf. Interessant zum Beispiel, weil: Hier erzählt ein weißer Mann von Rassismus, und er erzählt – bei drei Männern und einer Frau – aus der Sicht der Frau. Das ist kurios, und ich weiß auch nach der Lektüre nicht so recht, wie ich das einordnen soll. Was weiß er über Josefs Erfahrungen als schwarzer Mann in Deutschland, den er aus Amalias Sicht an einer Stelle „empfindlich“ nennt? Kann er einschätzen, ob Amalia als Frau im Angesicht einer drohenden Vergewaltigung durch vier Männer wirklich nur denken würde, dass sie das würde „ertragen“ müssen? Andererseits ist das reine Fiktion, er darf natürlich mit seinen Figuren machen, was er will. Die Thematik finde ich ein bisschen heikel, die gewählte Perspektive ebenfalls, vielleicht ist es auch mutig – auf jeden Fall faszinierend. Und die Geschichte selbst ist sehr spannend, geschickt konstruiert, steuert auf das einzig mögliche Ende zu, das durchaus glaubwürdig angelegt ist. Ein Buch, über das man sich am besten selbst eine Meinung bilden sollte.
Der Ausflug von Dirk Kurbjuweit ist erschienen bei Penguin.
Ich glaube, früher mal – viel, viel früher mal – habe ich Bücher gelesen, ohne ausreichend zu hinterfragen, wer da aus welcher Sicht und welcher Lebenswirklichkeit heraus erzählt. Hauptsache, starke weibliche Heldinnen. Hauptsache, Bücher über Rassismus. Weil es von beidem meines Empfindens zu wenig gab. Aber das war sicher bei mir auch von einer Schulbildung geprägt, in der Goethe, Schiller, Dürrenmatt, Frisch, Shakespeare etc. gelesen wurden, aber nicht von Arnim, Bachmann, de Beauvoir, Walker, Woolf. Und von einer Kindheit, in der ich »Onkel Toms Hütte« für das Nonplusultra der anti-rassistischen Literatur hielt, weil ich nichts anderes kannte.
Das ist heute anders, da stutze ich auch erstmal, wenn ein Mann aus Sicht von Frauen schreibt (obwohl ich mich köstlich amüsieren kann über die oft völlig überzogenen Stilblüten von r/menwritingwomen – »She breasted boobily down the stairs and titted downwards.«), wenn ein Weißer über Rassismus spricht und dann noch ein Wort wie ’empfindlich’ gebraucht. Und dann grüble ich, ob ich stutzen sollte, ob ich quasi im Geiste schon Zensur betreibe. Letztendlich lese ich mit Vorbehalt, aber ich schließe nicht aus, dass sich dahinter doch ein gutes Buch verbergen könnte.
Das find ich sehr schlau, und du hast auf jeden Fall Recht. Interessant auch, dass es eben dauert, bis man überhaupt stutzig wird – weil wir so sozialisiert sind. Man muss sehr, sehr viel lesen, um das, was man liest, hinterfragen zu können …