„Da ist eine Leere. Die ist schon seit einer ganzen Weile da, auch als sein Vater noch lebte“
„Den Deutschen hier ist scheißegal, wie viele Sprachen wir sprechen oder zu wem wir beten. Sie sehen uns als Scheißtürken, also sind wir Scheißtürken. Fertig.“
Das bekommt Sevda zu hören, als sie von ihrem Vater endlich nach Deutschland nachgeholt wird – zuerst hatten ihre Eltern die Dreizehnjährige allein bei Verwandten zurückgelassen. Zu ihrer Mutter Emine kann sie keine Beziehung aufbauen, und da sie nicht zur Schule darf, versauert sie in der Küche, sieht das gelobte Deutschland nur durch die Fensterscheibe. Nicht viel später wird Sevda verheiratet an einen Mann, der sie und die gemeinsamen Kinder ins Unglück stürzt. Glücklich sind auch Sevdas Geschwister nicht: Ümit ist verliebt in einen anderen Jungen und wurde bloßgestellt, Hakan hat immer nur Mist gebaut, und Peri rebelliert gegen die Familie, gegen das System, das Patriarchat. Alle versammeln sie sich nach Jahren des Getrenntseins in Istanbul, denn Hüseyin ist gestorben. Nachdem er jahrzehntelang in Deutschland gebuckelt und gehackelt hat, konnte er sich endlich die lang ersehnte Wohnung in der Türkei leisten – doch kaum war er dort angekommen, starb er an einem Herzinfarkt.
„Aber es war doch Liebe, so wie es an irgendeinem Punkt immer Liebe sein wird, wenn zwei Menschen nur lange genug Zeit miteinander verbringen, sich einander von ihrer besten und ihrer hässlichsten Seite zeigen, sich streiten und versöhnen, einander verletzen und verzeihen.“
Sevdas Name bedeutet Liebe, und das ist vielleicht die größte Ironie: Fatma Aydemir, die mich vor Jahren bereits mit Ellbogen beeindruckt hat, erzählt von einer Familie, durch die ein gewaltiger Riss geht. Einer Migrantenfamilie, einer Arbeiterfamilie, in der jegliche Liebe erstickt wird vom Zwang, Geld verdienen zu müssen, von der Ausländerfeindlichkeit der Deutschen, von der Angst, dem Gefühl des Fremdseins, von dem Druck, den die Eltern auf die Kinder ausüben und vom Schweigen, das über allem liegt. Jede:r kommt einmal zu Wort, den Rahmen bilden Hüseyin und Emine, die es gut gemeint haben irgendwann, die es richtig machen wollten. In einer flüssigen Sprache, die sehr genau hinschaut, schreibt Fatma Aydemir vom endlosen Schmerz der Heimatlosigkeit, von Verrat und der Unmöglichkeit, miteinander zu reden. Auch wenn mir das Ende viel zu dramatisch war, habe ich Dschinns mit Begeisterung und großem Gewinn gelesen.
„Weil man nur dort zuhause war, wo man jemanden hatte, der einen verstand.“
Dschinns von Fatma Aydemir ist erschienen bei Hanser.