„Ich befand mich bei einem Festschmaus des Teufels und saß am Kopfende“
So, wie Aleksy sie beschreibt, bekommt man den Eindruck: Es gibt niemand Hässlicheren als seine Mutter. Sie holt ihn ab aus dem Erziehungsheim, acht Jahre lang haben sie einander kaum gesehen oder gesprochen. Jetzt ist Aleksy volljährig, und er hasst seine Mutter mit Inbrunst. Denn sie ist
„Der Mensch, der mich mit dem Fuß wie einen Hund weggeschubst hat, als ich bereit war, ein Hund zu sein, wenn ich wenigstens gestreichelt würde.“
Trotzdem kann sie ihn überreden, mit ihr über den Sommer in den Süden zu fahren: Sie verspricht ihm, dass er ihr Auto bekommt, wenn sie tot ist. Und sterben wird sie, denn sie ist unheilbar an Krebs erkrankt. Aleksy willigt ein, nicht mit seinen Freunden nach Amsterdam zu reisen wie geplant, sondern seine Mutter von London, wo sie als polnische Einwanderer leben, nach Frankreich zu begleiten. Sie mieten dort ein Haus, und während die Mutter anfängt zu schwinden, kleiner, kranker, blasser zu werden, wird sie für Aleksy immer schöner: Langsam nimmt er sie nicht mehr als dumm und unansehnlich wahr, auch er selbst verändert sich.
„Der Hass auf meine Mutter war, wenn auch nicht gänzlich verschwunden, so doch eingetrocknet und hatte eine Kruste gebildet.“
Tatiana Țîbuleac wurde in Moldawien geboren und schreibt auf Rumänisch. In einem Interview hat sie erzählt, dass diese Geschichte in einem unaufhaltbaren Rutsch aus ihr kam, dass sie zwei Monate lang täglich acht, neun Stunden geschrieben hat – und so liest es sich auch. Atemlos, sogartig, man kann sich kaum zu einer Pause zwingen. Es geht um fehlende Liebe und Annäherung in diesem Roman, von dessen gräulichen Cover ihr euch nicht abschrecken lassen dürft, um tragische Verluste und ein kaputtes Familiengefüge. Es geht aber auch um Abschied und Versöhnung, und schwer beeindruckend ist dabei die Sprache: Die Autorin schreibt so ungehemmt und ungeschönt, dass man auf den ersten Seiten direkt geschockt ist. Der Hass des Protagonisten schlägt den Lesenden – mit großartigen Sprachbildern – mitten ins Gesicht. Erst nach und nach versteht man, was geschehen ist: mit Aleksys kleiner Schwester und dem Vater, mit der Beziehung zu seiner Mutter. Ein wirklich unvergleichliches Buch, hart, fordernd, wütend, dann aber auch zärtlich, weich, liebevoll.
Der Sommer, als Mutter grüne Augen hatte von Tatiana Țîbuleac ist erschienen bei Schöffling.