„Das Unwiderrufliche darin einen Menschen nie wiedersehen zu können falls man ihm noch etwas sagen oder ihn etwas fragen musste“
Jana fährt an den Ort, der ihr nie ein Zuhause war, und an dem ihr Zwillingsbruder Bror noch lebt: ein kleines Dorf irgendwo in den Untiefen Schwedens. Sie weiß noch nicht, ob sie bleiben will, sie weiß nur, dass ihr Bruder Hilfe braucht, denn nach dem Tod von Maria trinkt er zu viel. Er hat sie geliebt, die Frau von John, wie offenbar fast alle Männer im Dorf sie geliebt haben, und nun ist sie tot. Jana findet in John unerwartet einen Verbündeten, und die beiden beginnen einen seltsamen Tanz aus Abweisung und Annäherung. John malt Bilder, John hat Geheimnisse, er säuft ebenfalls, neigt zu Gewalt, und dann sind seine rauen Hände wieder so zärtlich.
„Unsere wortkarge Art der Kommunikation war bequem. Ich musste nichts erklären. Er auch nicht. Wir schienen die Antworten auch aus dem Schweigen heraus zu verstehen.“
John und Jana sind einander ähnlich, weil sie aus einer Kindheit voller Missbrauch und Grausamkeit kommen, sie sprechen dieselbe Sprache aus Traumata und Angst. Der Vater von Jana und Bror war ein roher, gewalttätiger Mann, die Mutter hat weggeschaut. Jana bleibt, sie nimmt einen Job als Altenpflegerin an, begegnet ihrer ehemaligen Schulfreundin Katarina wieder und versucht, irgendwie klarzukommen mit dem, was geschehen ist.
„Dem Dorf entging nichts. Alle wussten alles. Es war erschreckend und gleichzeitig schön weil man nichts zu erklären brauchte.“
Das Setting ist bekannt: der Bauernhof, der prügelnde und vergewaltigende Vater, die erwachsenen Kinder, die von den Folgen der Erlebnisse gezeichnet sind – und doch hat Karin Smirnoff einen neuen Weg gefunden, diese altbekannte Geschichte zu erzählen. Zum einen ist ihre Story vielschichtiger und komplexer, zum anderen benutzt sie keine Satzzeichen außer Abschlusspunkte. Dadurch wird der ganze Roman zu einem einzigen langen, heftigen stream of consciousness. Er bräuchte zahlreiche Triggerwarnungen, es geht um Gewalt und Einsamkeit, um alte Wunden und das Verstummen. Die schwedische Autorin hat sich mit ihrer ungerührten Art zu schreiben direkt in mein Hirn gewunden, ich war gefordert, verstört, angeekelt und voller Mitleid. Ein hartes, intensives, sehr gutes Buch und angeblich der erste Teil einer Trilogie.
Mein Bruder von Karin Smirnoff ist erschienen bei Hanser Berlin.
Hallo,
“…und doch hat Karin Smirnoff einen neuen Weg gefunden, diese altbekannte Geschichte zu erzählen.”
Hättest du das nicht gesagt, ich wäre eher misstrauisch um das Buch rumgeschlichen. Die Geschichte klingt, als ginge sie an die Nieren, der Schreibstil klingt anstrengend und fordernd. Aber die Rezension klingt, als könne sich das lohnen.
LG,
Mikka
Das tut es wirklich, versuch es vielleicht mal mit der Leseprobe?