„Es gibt das Erzählen, und es gibt das Schweigen. Und es gibt das Fragen dazwischen“
„Meine gesamte Kindheit über war ich von Exilanten umgeben gewesen, die unsere alte Heimat romantisierten, sodass ich gar nicht umhinkam zu glauben, unser Meer sei das schönste, unser Licht das weichste, unsere Berge die imposantesten und unsere Kultur die reichste von allen. Weshalb jedoch keiner von ihnen in dieses Land zurückkehren wollte, konnte mir niemand erklären.“
Amins Großmutter ist 1981 mit ihm aus dem Libanon nach Deutschland geflohen, 1994 sind sie zurück nach Beirut gegangen, da war Amin ein Jugendlicher. Seine Eltern waren lange zuvor gestorben, und der Libanon war ihm fremd. Der einzige Freund, den er fand, war Jafar. Die beiden streiften durch die halbzerstörte und immer noch gefährliche Stadt, ohne zu merken, dass die eigentliche Gefahr viel näher war als gedacht. In der dritten Zeitebene befindet Amin sich im Jahr 2011, als der Arabische Frühling losbricht, und erinnert sich. An seinen Freund, dessen Verlust er nie verwunden hat, an den Tod seiner Großmutter und alle Geheimnisse, die mit ihr gestorben sind, und an die Zerrissenheit eines Landes, die sich in ihren Bewohnern spiegelt – von denen so viele bis heute vermisst werden.
„Die Tradition der Hakawati ist sehr alt. Früher, vor langer, langer Zeit, war der Hakawati der zweitwichtigste Mann im Land, gleich nach dem König oder Präsidenten.“
Der Hakawati beherrschte die Kunst des Geschichtenerzählens, und diese Kunst steht im Zentrum von Pierre Jarawans zweitem Roman. Er hat ihn einer vom Krieg zerstörten Kultur gewidmet, einem Land, das es in dieser Form nicht mehr gibt, das er durch dieses Buch, durch das Erzählen, wieder lebendig wird. „Das Erzählen kann nichts von dem, was verloren ist, zurückholen. Aber es kann das Verlorene erfahrbar machen.“ Ein Lied für die Vermissten ist in Buchform gegossene Wehmut, das legt schon der Titel nahe. Ein zutiefst trauriger, sentimentaler und dadurch still melancholischer Roman, der uns ein Gebiet näherbringt, über das wir wenig wissen. Sinnlich, emotional, bewegend – absolut lesenswert, denn Pierre Jarawan, der mich bereits mit Am Ende bleiben die Zedern begeistert hat, ist selbst ein Hakawati.
Ein Lied für die Vermissten von Pierre Jarawan ist erschienen im Berlin Verlag.
So ein wunderbares Buch!