„Im Kopf wird es flauschig, noch bevor man sich küsst, bitte schön!“
„Seit seinem neunzehnten Lebensjahr wollte er sich immer in einen Fluss stürzen.“ Dafür ist der Herr Rudi dann aber ganz schön alt geworden, mittlerweile ist er nämlich frisch pensioniert. Einen Plan für die Pension hat er auch gehabt, er wollte das Haus von der Livi kaufen und dort, in Grödig, gemütlich alt werden. Die Livi war die große Liebe vom Herrn Rudi, und sie ist gestorben, als er neunzehn war. Daher auch die Sache mit dem In-den-Fluss-Stürzen. Seit über vierzig Jahren sitzt die Livi dem Herrn Rudi jetzt schon als Geist auf der Schulter, und manchmal, das hat Anna Herzig bei ihrer Lesung im Literaturhaus Salzburg im Februar sehr schön geschildert, ist das sehr anstrengend, sich so viele Jahre lang mit einer Neunzehnjährigen zu unterhalten. Das hat jetzt aber eh bald ein Ende, der Herr Rudi hat nämlich eine Diagnose. Deswegen wird es nichts mit dem Livi-Haus und mit der gemütlichen Pension. Vielmehr kniet der Herr Rudi gerade nackt in einem Hotelbadezimmer, kann sich nicht mehr rühren, neben ihm eine Badewanne voller Heidelbeeren, die Flasche mit dem Alk ist davongerollt, und eigentlich möchte er nur den Fritz anrufen, seinen besten Freund, um ihm Lebwohl zu sagen.
„Manchmal hilft nichts anderes, als das gesamte Leben in eine mit Blaubeeren gefüllte Badewanne hineinzuweinen.“
Anna Herzig ist ein Spagat gelungen: Sie hat über einen alten, weinerlichen Mann geschrieben, ohne ihn dem Spott des Lesers preiszugeben. Traurig ist der Herr Rudi schon sein ganzes Leben lang, und die Erzählung, die zum Ende dieses Lebens einsetzt, zeigt, dass man manchmal das Beste in jungen Jahren geschenkt bekommt und danach nichts mehr folgt. Viel Zeit, ja, viel Langeweile, gutes Essen manchmal, kleine Glücksmomente, aber sonst eigentlich nichts. Für den Herrn Rudi war es eigentlich damals bereits vorbei. Um Verlust und Trauer geht es in Anna Herzigs Buch, um Schicksal, Einsamkeit und Orangenmarmelade. Die unglaublich sympathische Autorin, die ihr dringend live erleben solltet, weil sie so eine warme Stimme hat und so typisch österreichisch melodisch liest, hat viel Mitgefühl für ihre eigene Figur, das macht ihr Buch so warm und liebevoll.
Lieblingszitat:
„Es soll Menschen geben, die bereiten dir derart Kopfschmerzen, da hilft keine Tablette mehr. Und dann gibt’s Menschen – selten aber doch, so hört man –, die balancieren einem die Gehirnwindungen auf zärtlichste Weise aus.“
Herr Rudi von Anna Herzig ist erschienen bei Voland & Quist.