Bücherwurmloch

Shobha Rao: Mädchen brennen heller

„Was ist die Liebe denn, Puri?“, fragte Savita. „Was ist die Liebe, wenn nicht ein Hunger?“
Als Purnima als Kind in den Fluss fällt, überlegt ihr Vater, sie einfach ertrinken zu lassen – sie ist ja nur ein Mädchen. Die Mutter rettet sie in letzter Sekunde. Als Purnima 16 ist, stirbt die Mutter, und der Vater holt die 17-jährige Savita ins Haus, damit sie ihm und Purnima beim Weben hilft. Tag und Nacht sitzen sie an den Webstühlen, um wenigstens ein paar Rupien zu verdienen. Savitas Familie ist noch ärmer als Purnimas, die Mädchen leiden Hunger. Zwischen ihnen entsteht eine tiefe Freundschaft, und als Savita, nachdem sie vergewaltigt wurde, in der Nacht, bevor sie an ihren Vergewaltiger verheiratet werden soll, verschwindet, leidet Purnima unter dem Verlust der Freundin fast mehr als unter dem gewalttätigen Ehemann, an den sie verschachert wird.

„Angst verlor in ihrem Leben langsam an Bedeutung – Angst hatte sie schon so lange, zuerst vor ihrem Vater, dann vor ihrer Schwiegermutter und Aruna und Kishore, dass Angst für Purnima ermüdend geworden war, alltäglich, und sie genauso langweilte wie Abwaschen oder Bügeln. Warum sollte sie Angst haben?“

Die Familie ihres Mannes wird sie umbringen, das weiß Purnima. Doch bevor es soweit kommt, beschließt sie, zu fliehen und Savita zu finden – zur Not am Ende der Welt, ohne zu wissen, dass sie tatsächlich so weit gehen muss.

Mädchen brennen heller ist ein Buch über Frauen, die keine Rechte haben. Frauen, die erst der Besitz ihrer Väter und dann der Besitz ihrer Ehemänner sind. Indische Mädchen, deren Väter sich wünschten, sie wären nie geboren. Weil sie irrsinnige Summen für ihre Mitgift aufbringen müssen. Weil Mädchen nichts wert sind, gar nichts.

„Nein, alt sind wir. Alte, uralte Frauen, verwüstet von der Zeit, und wir warten darauf zu sterben.“

Shobha Rao, selbst in Indien geboren und später in den USA aufgewachsen, hat sich als Rechtsanwältin für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen mit Migrationshintergrund eingesetzt, bevor sie Autorin wurde. Sie erzählt eine eindringliche, tiefgehende Geschichte, die so wehtut, weil jedes Wort davon wahr sein könnte. So geht es Mädchen und Frauen in Indien wirklich, nichts an ihrem Schicksal ist erfunden. Sie werden vergewaltigt, mit Öl übergossen, verprügelt, unter Drogen gesetzt in Bordellen gehalten, als Putzsklavinnen verkauft. Ich habe die Geschichte von Purnima und Savita atemlos und mit heißer Wut im Bauch verfolgt. Am Ende, auf der letzten Seite, war ich so voller Gefühl, dass ich ernsthaft gedacht habe, ich ersticke gleich. Bücher wie dieses sind wichtig, Bücher wie dieses sind der Grund, warum alle Menschen lesen sollten. Sie öffnen den Blick für das Leid anderer, sie zeigen uns, warum wir – die wir weiß, privilegiert, europäisch sind – den Feminismus brauchen: für unsere Schwestern, die in dem Moment, in dem sie geboren wurden, bereits tot sind. Weil Männer sie Tag für Tag durch Worte, Taten und Gewalt umbringen.

„Was für Idiotinnen wir doch alle sind. Wir Mädchen. Angst vor den verkehrten Sachen, zur verkehrten Zeit. Angst vor einem verbrannten Gesicht, wenn doch draußen, dort draußen, Feuer auf dich warten, die du dir gar nicht vorstellen kannst. Männer, die ein Zündholz an deine benzingetränkten Kleider halten. Flammen, Flammen rings um dich, die deine eben erst entstandenen Brüste auffressen, deinen eben erst blutenden Körper. Und Flammenmeere, weit wie die Welt. Die darauf warten, dich zu vernichten, dich zu Asche zu machen – und selbst der Wind, sogar der Wind, meine Kleine, schaut dir beim Brennen zu, will es, weht über dich hinweg und durch dich hindurch. Verstreut dich, weil du ein Mädchen bist und weil du Asche bist.“

Mädchen brennen heller von Shobha Rao ist erschienen im Elster Verlag.

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