„Das ist nämlich das Wichtigste in Deutschland, dass man immer freundlich grüßt“
„Hass ist normal. Ich kenne niemanden, den ich nicht schon mal fünf Minuten lang gehasst habe, außer meine Oma natürlich“, sagt Max. Mit ihm hat es seine Mutter seiner Aussage zufolge schwer: Sie hat ihn adoptiert, und etwas stimmt mit ihm nicht. Seine Zehen sind seltsam gekrümmt und sein Gehirn irgendwie auch. Deswegen hat er keinen Adoptivvater, der hat nämlich schnell das Weite gesucht. Max ist außerdem dick, zumindest bis er anfängt zu trainieren. Als die Einladung seiner Oma Frieda an sämtliche Familienmitglieder geht, gemeinsam die Schildkröte Charly zu beerdigen, kommen tatsächlich alle zusammen – und erinnern sich. Wie es war, als Heinrich in die Familie kam, der so viel Wut und außerdem ein Geheimnis in sich trug, wie er den Kindern Charly schenkte, der vom Nachbarshund schwer verletzt wurde. Und verletzt sind sie insgeheim alle: die Schwestern Karen und Nele, die nur das Beste für ihre Kinder wollten und als Mütter versagt haben, ihr Bruder Mattis, der zu seinen Kindern keinen Zugang findet, Ben, der in ein Mädchen verliebt ist, das vergewaltigt wurde, Lena, die von ihren Klassenkameraden gemobbt wird, und schließlich auch Max. Wie alle, die zu diesem Familienverbund gehören, sich aneinander aufreiben und miteinander versöhnen, erzählt Heike Duken in diesem fein gewobenen, vielstimmigen Buch, das mehrere Jahrzehnte umfasst.
Dass die Autorin selbst Psychotherapeutin ist, merkt man an ihrem Gespür für ihre Figuren: Sie lässt sie mit all ihren Macken, Ängsten und Wunden lebendig werden. Durch Zeitsprünge – die markiert sind, wodurch man sich immer gut orientieren kann – zeigt sie die Auswirkungen der Vergangenheit auf und wie alles mit allem zusammenhängt. Der ursprüngliche Titel des Buchs war Rabenkinder, und das erwähne ich aus folgendem Grund: weil Heike mir damals gesagt hat, dass nicht nur Eltern Rabeneltern sein können, und diese Bemerkung fand ich, wie den Titel, sehr klug. Ich hatte vorher nie darüber nachgedacht, dass nicht nur Eltern ihren Kindern Dinge antun, die schmerzen – sondern auch umgekehrt. Und letztlich ist es ja so, dass wir in keinem anderen Umfeld so sehr auf uns selbst zurückgeworfen sind und so stark an uns arbeiten müssen wie in unserer eigenen Familie. Das Gute an diesem Buch ist, dass es nie ausufert, nie zu viel preisgibt, im Gegenteil: Heike Dukens Stil ist prägnant und pointiert, dabei stets voller Gefühl, und am Ende hätte man gern noch ein paar Seiten mehr gelesen.
Wenn das Leben dir eine Schildkröte schenkt von Heike Duken ist erschienen bei Limes.