„Komm ins Haus, mein Kind, mach die Tür hinter dir zu und vergiss ihn“
„Sieh ihn dir genau an, Bess, diesen einfältigen Menschen, meinen Bruder John Cyrus Bellman. Einen größeren Dummkopf wirst du nie wieder zu Gesicht kriegen. Wenn man mich fragt, zählt er ab heute zu den Verlorenen und Verrückten.“
Das bekommt Bess von ihrer Tante zu hören, als ihr Vater sich aufs Pferd schwingt und seine Heimat verlässt. Er hat einen Artikel gelesen über etwas Wildes, Unbekanntes, über Knochenfunde, weit, weit entfernt, und er kann an nichts anderes mehr denken. Er will dorthin, er will sie finden, er will sie sehen, die exotischen Tiere. Deshalb bringt er seine Tochter zu seiner Schwester und bricht auf zu einem Abenteuer, für das alle ihn auslachen, für das er vermutlich nicht die richtige Ausrüstung und nicht genug Expertise mitbringt. Und während Bess zu einer jungen Frau heranreift, den giftigen Bemerkungen der Tante ausweicht und den gefährlichen Griffeln mancher Männer, während sie auf Briefe von ihrem Vater wartet, reist dieser mit einem kundigen Indianer durch Gegenden, die ihm nach und nach alles rauben: seinen Besitz, seine Zuversicht, seine Lebensgeister.
Carys Davies, die bereits für ihre Kurzgeschichten ausgezeichnet wurde, hat ein Buch geschrieben mit einem merkwürdig eigenwilligen Zauber: Es ist eine kurze Story über einen Abenteurer, so anders als alles, was wir heute kennen. Ihr Protagonist hat etwas von einem amerikanischen Don Quichotte und findet sich in der altbekannten Geschichte von einem, der auszieht, weil ihm sein eigenes Leben nicht genügt, weil er sich beweisen will, etwas Neues finden und erkunden will. Ihm zur Seite wird, auch das ein klassischer Kniff, ein Geselle gestellt, in diesem Fall mit dem großartigen Namen Alte Frau aus der Ferne, und hier bringt die Autorin das Zeitgeschehen ein: Der Roman spielt 1815, und die Ausbeutung der Indianer ist überall spürbar. Obwohl dieses Buch mit einem vermeintlich auserzählten Motiv spielt, hat Carys Davies einen Ton gefunden, der das Interesse des Lesers weckt und aufrechthält. Man verspürt Zuneigung und Abneigung im selben Maße, und man sieht all diese Bilder, ohne dass die Autorin sie zeichnen muss: die Planwagen, die Prärie, die Indianer, die Toten. Ein raffiniertes, virtuoses Buch.
West von Carys Davies ist erschienen bei Luchterhand (ISBN 978-3-630-87606-1, 208 Seiten, 20 Euro).
Hallo!
Eine ganz wunderbare Rezension zu diesem eigenwilligen Buch. Ich emfand es wie du, virtuos und raffiniert, immer im Wechsel zwischen den eigenen Emotionen. Definitiv ein lesenswertes Büchlein!
Liebe Grüße!
Gabriela
Eigenwillig trifft es wirklich gut! Aber gerade deshalb fand ich es so besonders und, wie du sagst, lesenswert.