„St. Pauli ist eine riesige Melkmaschine!“
„Weißt du, Wolli, der Loddel, der ist die Hure der Huren, zumindest sollte er das sein. Er ist für seine Hure da, wenn sie ihn braucht, er beschützt sie, er erwartet sie, wenn sie von der Arbeit kommt, und er lebt von ihrem Geld. Er braucht selber nichts zu tun, aber er ist auch vollkommen abhängig.“
Wolli ist skeptisch, denn zum Loddel ist er eher zufällig geworden: Er hat sich in Maulwurf verliebt, und Maulwurf geht eben anschaffen. Überhaupt ist Wolli in das Meiste einfach so reingeraten – nach Jahren auf Wanderschaft und in beschissenen Jobs ist er in den Fünfzigern nach St. Pauli gekommen und hat erst einmal Fuß fassen müssen in dieser eingeschworenen Gemeinschaft, die sogar eine eigene Sprache hat. Aber er ist jung und flink und gewitzt, deshalb gelingt es ihm, Arbeit hinter dem Tresen zu finden und später sogar selbst eine Bar zu übernehmen. Er weiß, wie man die Leute unterhält, sie zum Trinken bringt, und auch wenn er von dieser Band, die stets in Hamburg spielt und von der alle angetan sind, nichts hält, weil aus den Beatles seiner Meinung nach sowieso nichts wird, beweist Wolli den richtigen Riecher.
„Ganz langsam dringt St. Pauli in Wolli ein, durchdringt sein Wesen und Handeln und füllt jede Pore in ihm aus.“
Rocko Schamoni hat ein wahnsinnig unterhaltsames Buch geschrieben über Wolfgang Köhler, genannt Wolli, der 2017 gestorben ist und mit dem er gut befreundet war. Nicht alles glaube ich ihm, ich bin sicher, dass er seinen Wolli mit Samthandschuhen angefasst hat und der garantiert nicht so unbedarft war, wie der Roman ihn darstellt – als jemand, der immer nur zusieht und nicht zuhaut, der immer nur ohne es zu wollen irgendwo reingerät, bringt man es in einer Dreckskaschemme wie St. Pauli nicht so weit, wie Wolli es gebracht hat. Nichtsdestotrotz habe ich mich mit diesem Buch wunderbar amüsiert, es ist leicht und witzig und nimmt den Leser an die Hand, um ihn durch die Gassen des damaligen Vergnügungsviertels zu führen – und zwar dorthin, wohin der normale Tourist nicht kommt. Das flutscht beim Lesen, der Ton stimmt, schönes Level, viele Schmunzler durch die Referenzen auf das Zeitgeschehen. Vom abrupten Ende war ich erst vor den Kopf gestoßen, bis Buchexperte Florian Valerius mir gesagt hat, dass es einen weiteren Teil geben wird. Jetzt bin ich versöhnt und freu mich sogar drauf, mehr über Wolli zu erfahren.
„Wenn es eine Kiezregel gibt, dann die, sich nicht lumpen zu lassen. Geiz ist Todsünde Nummer eins. Geiz ist Kleinheit, Geiz ist Schwäche, Geiz ist Jämmerlichkeit. Jede Mark, die zu viel ausgegeben wird, ist eine Provokation des Schicksals, Sicherheit ist der Tod.“
Große Freiheit von Rocko Schamoni ist erschienen bei hanserblau (ISBN 978-3-446-26256-0, 288 Seiten, 20 Euro).