Mareike
Ethnie: europäisch
Gesundheit: erstaunlich robust
Politische Neigung: resigniert
Verwertbarkeit als Konsumentin: mittel
Intelligenz: durchschnittlich
Aggressionspotenzial: mehr innerlich, weil Frau
Da sitzt sie wieder und liest. Sie spritzt sich die Bücher wie Stoff, deswegen nutzen sie sich ab, das High wird immer kleiner, seltener, sie betäubt sich mit Büchern, es hilft nicht. Die Welt ist immer noch dieselbe. Draußen ist die Welt noch dieselbe und in den Büchern auch. Die Menschen sind nicht in der Lage, eine andere Welt zu erschaffen. Manchmal liest sie das, was Sibylle Berg schreibt, und dann möchte sie sich mit den Papierseiten ins Herz schneiden, weil in den Büchern von Frau Berg gibt es keine
Liebe
Hoffnung
Leichtigkeit
da gibt es nur Sehnsucht.
„Wenn Menschen die Gelegenheit bekommen, andere zu quälen, werden sie es tun. Wenn sie die Gelegenheit bekommen, dem anderen etwas wegzunehmen, werden sie es tun.“
Manchmal wacht sie morgens auf und bleibt liegen, schon erschöpft allein, weil sie aufgewacht ist und alles noch da ist. Wie man sich halt wünscht, es wäre anders, aber das ist es nie, und sie lebt vor sich hin, wie alle es tun, wird dabei älter und weiser nicht, auch nicht weniger sehnsuchtsvoll oder weniger bedürftig.
„Vierzig ist das Älteste, was Don sich vorstellen kann. Es muss schrecklich sein. Es muss sein wie tot.“
Es ist grausig, bedürftig zu sein, aber die Menschen sind so, sie verstecken sich hinter Aggression, hinter Sarkasmus und Stacheln, und dabei sind sie nichts als weich. Das ist traurig, genau wie es traurig ist, dass es Kinderprostitution gibt und Mädchen mit toten Augen, dass Plastik im Meer schwimmt und sich im Internet Trolls tummeln, die im Schlafzimmer keinen hochkriegen. Dass Männer anders sind als Frauen, erzeugt auch Traurigkeit, eine riesige Menge davon, keine Brücken können die Geschlechter schlagen zueinander, also hauen sie zu. Und wen interessiert das schon, alle scrollen und suchen etwas, das blinkt, suchen etwas, das sie ablenkt vom Elend, das das Leben ist.
„… kommt man sehr schnell zu dem Schluss, dass es kaum etwas Lächerlicheres gibt als Meinungen oder Lebensentwürfe oder – egal – Leute. Mit ihren sogenannten Bestrebungen und ihren Wichtigkeiten. Ihren Gesprächen und Aktionen, die aber doch hauptsächlich daraus bestehen, dass die Menschen irgendwohin scheißen. Ich kann keinen ernst nehmen.“
Mareike geht nicht oft raus, abends, nachts, sie hat Kinder und ist angebunden, wie man metaphorisch sagt, obwohl es gar nicht metaphorisch ist, aber wenn, dann muss etwas passieren, damit das Leersein im Kopf aufhört, damit da ein Erlebnis hineinkommt und ein Gefühl. Tanzen, ja.
„Da hat sich nie etwas geändert an diesen Orten, die immer zu laut für jeden sind, um die Peinlichkeit zu übertönen, die die Suche nach Paarungspartnern mit sich bringt. Laut, damit man den Angstschweiß nicht riecht. Laut, damit man nicht darüber nachdenkt, was man hier tut. Tanzen, ja, nun. Klar. Lebensfreude. Aber wie bitte sieht das aus. Dieses steife Sich-Bewegen, Sich-unter-Beobachtung-Fühlen.“
Überall die Menschen, sie gehen nicht weg. Sie sind da mit ihren Fehlern und ihren Gerüchen, mit ihren grausamen Ideen und ihrer weichen Bedürftigkeit. Sie sind da und altern und sterben und kommen neu, kommen immer wieder, kommen vermehrt, sterben nie aus oder vielleicht einmal doch.
„Jung sein heißt das Chaos nicht sehen, in dem man lebt, weil da kein Vergleich ist. Kein Bedürfnis vorhanden ist, sich mit einem pathologischen Putzzwang von seiner toxischen Menschlichkeit zu reinigen.“
GRM. Brainfuck von Sibylle Berg ist erschienen bei Kiepenheuer & Witsch (ISBN 978-3-462-05143-8, 640 Seiten, 25 Euro).
Na, das nenne ich mal eine unglückliche Rezension. Ich weiß jetzt immer noch nicht, worum es in dem Buch geht. Die zwei Autoren wollen hier konkurrieren, die Kritik fällt weg. Soll das der “Brainfuck” sein? Oh Graus. Schon die SPIEGEL Kolumne von Frau Berg ist nicht sonderlich originell. Es muss “Gehirnficken” heißen.
Grüße
Ihr
Thorsten J. Pattberg, Autor der Lehre vom Unterschied
Es gibt auch einen feinen Unterschied, ob etwas unglücklich oder nicht geglückt ist.