„Gib mir, was ich will, ich flehe dich an, damit ich dir danach ins Gesicht spucken kann“
Es hat nur 150 Seiten, doch jede davon explodiert regelrecht vor Wut: In King Kong Theorie schreibt die bedeutende französische Autorin Virginie Despentes über Vergewaltigung und Prostitution, über das Patriarchat und die vielfältige Ungerechtigkeit, die damit einhergeht. Sie schleudert dem Leser entgegen, was sie über Rollenklischees und Männlichkeitswahn denkt, über sexuelle Identität und Pornografie. Sie tut es so, wie man es von Frauen nicht will und nicht erwartet: schonungslos, direkt, ohne ein Blatt vor dem Mund. In ihren Sätzen steckt so viel Wahrheit. Und das zu lesen, ist wie mit allen Wahrheiten: schmerzhaft und eine Erleichterung zugleich.
Wir wollen anständige Frauen sein. Wenn die Fantasie als störend, unrein oder verachtenswert gilt, verdrängen wir sie. Brave kleine Mädchen, Engel im Haus und gute Mütter. Wir sind so formatiert, dass wir den Kontakt zu unserer eigenen Wildheit meiden.
Als Frau kommt irgendwann der Tag, da hat man keine Lust mehr. Da ist man nur noch erschöpft. Weil man kämpft, an allen Fronten kämpft – und nirgends auch nur ansatzweise gewinnen kann. Stattdessen verliert man an Energie, so viele Streuverluste hat man, man verliert die Motivation und die Lust und die Geduld. Die Karriere ist ein Kampf, die ungleiche Bezahlung, die Frage nach der Kinderbetreuung, nach denselben Chancen, wie Männer sie haben. Innerhalb der Familie herrscht ein Kampf, gegen das Klischee vom lieben, fürsorglichen Muttchen, das keine eigenen Wünsche haben darf, das sich aufopfern muss für die Kinder. Nichts ist selbstverständlich für uns, nichts ist fair. Wir reiben uns auf. Wir stoßen in allen Richtungen nur auf Beschränkungen und Grenzen. Die es für Männer nicht gibt. Und daher rührt der Zorn, daher rührt die Wut.
Virginie Despentes spürt das genauso wie wir alle. Sie hat sich schon mit ihrem Debütroman Baise-moi – Fick mich, den sie später selbst verfilmt hat, in die Nesseln gesetzt. Und ist der Ruf erst ruiniert, schreibt es sich ganz ungeniert: Mittlerweile ist die französische Schriftstellerin preisgekrönt und Mitglied der Académie Goncourt.
Nein, man beschreibt einen männlichen Autor nicht so, wie man es bei einer Frau macht. Niemand hat je das Bedürfnis gehabt zu schreiben, Houellebecq sei schön. Wenn er eine Frau wäre und ebenso viele Männer seine Bücher mögen würden, hätten sie geschrieben, er sei schön. Oder nicht schön. Und man hätte in neun von zehn Artikeln versucht, ihn fertigzumachen und ausführlich zu erklären, warum dieser Mann sexuell so unglücklich sei. Man hätte ihm zu verstehen gegeben, dass es seine Schuld sei, dass er es nicht richtig anpacke, dass er sich über nichts und niemanden beklagen dürfe. Und nebenbei hätte man sich über ihn lustig gemacht: Sag mal, hast du deine Fresse gesehen?
Das ist nur einer der vielen Aspekte, die Virginie Despentes in ihren 150 wütenden Seiten unter dem Teppich hervorkehrt. Die ungleiche Behandlung, die beide Geschlechter erfahren, quer durch die Bank, beleuchtet sie in aller Deutlichkeit. Sie plädiert für Selbstbestimmung, für die gesellschaftliche Absicherung von Prostituierten, für mehr Rechte von Vergewaltigungsopfern. Sie selbst wurde mit 17 Opfer einer solchen Straftat, und auch so viele Jahre danach kann sie nicht damit abschließen. Das muss sie auch nicht. Niemand darf das verlangen, niemand hat das Recht, Vergewaltigungsopfer ständig zu bevormunden, ihnen keinen Glauben zu schenken, sie zu bestrafen für das, was ihnen zugefügt wurde.
Virginie Despentes ist ein kleines Pulverfass, das spürt man deutlich. Wir alle sind es. Wir haben kein Verständnis mehr. Wir wollen nicht mehr brav sein, nicht mehr zurückstecken. Wir wollen nicht mehr unterdrückt und verlacht werden. Damit muss endlich Schluss sein. Spätestens für unsere Töchter.
Komplexe haben, das ist weiblich. Unauffällig sein. Gut zuhören. Nicht mit dem Verstand brillieren. Gerade gebildet genug sein, um zu begreifen, was der Schönling zu erzählen hat.
King Kong Theorie von Virginie Despentes ist erschienen bei Kiepenheuer & Witsch (ISBN 978-3-462-31910-1, 160 Seiten, 9,99 Euro).
Mich hat das kleine Pamphlet auch sehr beeindruckt, und – nicht nur nach anderen, leider missglückten Versuchen, „Emanzipation“ von Frauen darzustellen, in seiner Radikalität getröstet -> https://prinzessinkarl.wordpress.com/2018/12/31/frauenbewegt-und-von-maennern-umringt
Je mehr „Werbung“ wir für das Buch machen, desto besser!
Und: Am 8. März ist Frauenstreiktag – > https://frauenstreik.org/
Ich stimme dir absolut zu!