„Alleinsein ist eine Kunst, die kaum einer beherrscht“
Blanca ist erst mal weg, denn Blanca hat die Nase voll. Von ihrer überdrehten Mutter und ihrem unsteten Leben, von diesem Alltag, der mehr einem Roadmovie gleicht als einem sicheren Hafen. Seit Blanca denken kann, ist sie mit ihrer Mutter unterwegs, denn die hält es nie lange an einem Ort aus. Von einer Schule zur anderen, von einem Kerl zum anderen, von einer Notlösung zur nächsten: Das macht Blanca seit fünfzehn Jahren mit, und nach einem letzten großen Streit mag sie nicht mehr. Sie will zu Toni, der in Italien wohnt, Toni, bei dem sie sich wohlgefühlt hat damals, bei dem sie dachte, sie könnten vielleicht doch eine Familie werden, sie und ihre Mutter und Toni und Karl. Also schlägt Blanca sich durch, der Weg nach Italien ist weit, das Geld ist knapp, ihr Erfindungsreichtum ist zum Glück groß, und Illusionen macht sie sich sowieso keine.
„Wenn ich irgendwas gelernt habe vom Leben an der Seite meiner Mutter, dann, dass auch der Mensch, der einem am nächsten ist, einem ein absolutes Rätsel bleiben kann.“
Blanca von Mercedes Lauenstein ist ein Buch über einen Roadtrip einer einzigen Person, und deshalb ist es notgedrungen auch ein einziger langer innerer Monolog. Im ersten Drittel mochte ich das noch, ich bin Blancas rotziger Stimme gern gefolgt, diesem – wenn auch durchaus klischeehaften – Lebensentwurf von jemandem, der nicht bleiben will, der stets zu neuen Ufern aufbricht und dabei sein Kind mitzerrt, ohne Rücksicht auf Verluste. Dann habe ich angefangen, mir einen Gegenpart zu wünschen. Eine andere Sicht auf die Dinge, eine zweite Perspektive, die dieses Übergewicht von Blanca ausgleichen würde, das Buch wurde mir zunehmend zu einseitig. Denn Blanca dreht sich natürlich, wie könnte es anders sein, um sich selbst, der gesamte Roman dreht sich um sie, und schon nach kürzester Zeit sind die Zerwürfnisse mit der Mütter, die Verletzungen, die Gründe für den Bruch eigentlich auserzählt, etwas Neues kann es nicht geben und gibt es auch nicht.
Ich gestehe, ich habe mehrere Seiten nur überflogen. Die Gedankenwelt eines Teenagers, der von jemandem weggeht, zu dem er eigentlich am liebsten nur hin möchte, hat Mercedes Lauenstein wirklich großartig eingefangen, man glaubt Blanca jedes Wort und jedes Gefühl. 256 Seiten mit denselben Gedanken und denselben Gefühlen waren mir persönlich einfach nur 100 Seiten zu viel, auf denen ruhig jemand anderes noch hätte zu Wort kommen dürfen. Begeistert hat mich dafür das Ende, denn der letzte Satz gehört zu den besten letzten Sätzen, die je geschrieben wurden. Wer sich dem Werk von Mercedes Lauenstein nähern möchte, dem empfehle ich ihren Erstling Nachts, der wie kein anderes Buch diese eigenartige Stimmung beschreibt, die mit der Nacht einhergeht.
Blanca von Mercedes Lauenstein ist erschienen bei Aufbau (ISBN 978-3-351-03701-7, 256 Seiten, 20 Euro).