„Mit diesem Lächeln begann es“
Surab hat keinen Job, und deshalb hat Surab viel Zeit. Er steht auf dem Balkon und raucht, immerzu steht er auf dem Balkon, die beiden Söhne, um die er sich für gewöhnlich kümmert, haben Ferien und sind bei der Oma. Heiß ist es auf dem Balkon, und dann zieht gegenüber jemand ein. Anfangs sieht Surab nur hin, weil ihm langweilig ist, aber dann sieht er nicht mehr nur hin, sondern beobachtet. Er bleibt nachts wach, er hat die Kamera in der Hand, und zu beobachten gibt es allerhand: Der junge Mann bekommt regelmäßig Besuch. Nicht nur, dass dieser Besuch ebenfalls männlich ist, nein, es handelt sich dabei auch noch um einen bekannten Politiker. Das ist heiß im Georgien des Jahres 2012, in dem der Milliardär Iwanischwili an die Macht kommt, das ist gefährlich, und vielleicht ist es kein Wunder, dass es – kaum brechen die Unruhen los, kaum entgleitet Surabs Frau Tina ihm immer mehr – plötzlich einen Toten gibt.
Ich habe dieses Buch nicht gelesen, ich hab es gefressen. Inhaliert hab ich es, weggeatmet, so schnell ging das mit Davit Gabunia und mir. Und ich habe während der Lektüre vollkommen vergessen, dass es in Georgien spielt, nicht, weil ich – wie so oft – unaufmerksam war, sondern im Gegenteil, so sehr war ich gefangen in der Geschichte rund um Surab, Tina, Merab und Nuri, dass es für mich nicht einmal mehr wichtig war, wo sich dieser Balkon befindet, wo sich diese Wohnung befindet und dieses Bett, überall hätte es sein können. Ganz egal war mir das, weil ich ihren Berichten gelauscht hätte ohne Bezug zur Geografie, und erst, als das wichtig wurde im Buch, erst als die Bilder im Fernsehen auftauchten und die Demonstranten auf der Straße, dachte ich: Oh. Das müsste mir ja eigentlich alles fremd sein. Das war es jedoch nicht, und darin besteht Davit Gabunias große Kunst.
Fiebrig ist das Wort, das man automatisch mit diesem Buch verbindet: weil sie schwitzen, die Protagonisten, weil es drückend ist und schwül, weil etwas anfängt zu brennen, innen und außen. Und weil die Sprache keine Zeit hat, überhaupt keine Zeit hat sie, sie entzündet ein Feuer und treibt es an, auf gerade mal 186 Seiten entsteht unvermittelt ein Flächenbrand. Man sieht dabei zu, mit staunend großen Augen, fast wie Surab rüberschaut zur fremden Wohnung. Da wird Homosexualität thematisiert, obwohl Georgien sich in dieser Hinsicht nicht sehr fortschrittlich zeigt, um es euphemistisch auszudrücken, da verlieben Menschen sich gegen ihren Willen, da entgleitet ihnen alles mit einer Geschwindigkeit, gegen die sie machtlos sind. Vieles fand ich vorhersehbar an der Story, mehrfach dachte ich: Okay, okay, echt jetzt, das ist doch so offensichtlich, alles ist dermaßen offensichtlich, was soll denn das, aber dann lachte der Roman mir ins Gesicht, überraschte mich mit genau dem, was ich sowieso erwartet habe. Siehst du, sagte er, ich erzähle genau das, was du gedacht hast, aber ich erzähle es so gut! Und das stimmt. Er erzählt es so gut, deswegen, Leute: lest das.
Farben der Nacht von Davit Gabunia ist erschienen bei Rowohlt (ISBN 978-3-7371-0041-0, 192 Seiten, 20 Euro).