„Ein Mensch allein kann so zornig oder traurig werden, es reibt die Augen ganz stumpf“
Kennt ihr das, dass ein Buch wahnsinnig traurig ist, derart traurig, dass ihr gar nicht wisst, wohin damit, dass ihr regelrecht überladen seid mit Traurigkeit? Mir passiert das selten, denn traurige Bücher sind mir die liebsten, aber es passiert. Das muss nichts Schlechtes sein, manchmal brauche ich dann Pausen von einem Roman, der angefüllt ist mit dieser Schwere, mit diesem Gefühl des Verlusts. Wie hoch die Wasser steigen von Anja Kampmann ist so ein Buch, und ich hätte mehrere Pausen gebraucht, aber ich hab es im Zug gelesen, ich hatte sonst nichts, in einem Rutsch, und danach war ich am Ende meiner Kräfte, als hätte ich etwas Anstrengendes getan. Es geht in diesem Roman um einen Mann, der auf einer Bohrinsel arbeitet, weit draußen auf dem Meer, abgeschieden von der Welt, von den Menschen, einen Mann, der seinen Freund verliert. Und man weiß nicht, ob das ein Freund war oder mehr, ob die sich geliebt haben, die beiden Männer, man weiß nur, dass der Verlust groß ist und dass er schmerzt. Weiterarbeiten kann und will er nicht, stattdessen macht er sich auf den Weg nach Ungarn, zum Zuhause seines Freundes, nur was er dort sucht, kann er nicht sagen, und finden kann er es auch nicht. Anja Kampmann beherrscht das Instrument Sprache, sie spielt darauf eine langgezogene, tief vibrierende Melodie, ein Lied, das schwermütig ist und ja, genau, sehr traurig.
Als er sich schließlich aufsetzte, die knöchernen Schienbeine und der Rest der Nacht auf seiner Haut, musste er an einen Eisrand denken, der sich bis zu seinem Rippenbogen ausgebreitet hatte und ihn überdeckte. Eine Art Eis, das neu war, das aus ihm selbst kommen musste.
Ein poetisches Buch ist das, in dem viele Worte in die Umgebung fließen, in dem viel mit Licht geschieht und mit Dunkelheit, sehr versiert geschrieben und zu Recht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis.
Wie hoch die Wasser steigen von Anja Kampmann ist erschienen bei Hanser (ISBN 978-3-446-25815-0, 352 Seiten, 23 Euro).
Für mich einer von 2-3 Titeln, die in diesem Jahr auf der Longlist herausragen. Habe deine Besprechung in meiner Liste ergänzt.
Schade, dass es nicht auf die Shortlist gekommen ist!