„Denn manchmal sind Worte Brot, Wasser, Fleisch“
Ada Maria lebt in einem Dorf im Appenin, gemeinsam mit ihrem Bruder und ihren Eltern, es geschieht nicht viel in diesem Dorf, und Ada Maria hat keine Möglichkeit, der Enge zu entkommen. Nach dem Tod der Mutter rückt der Vater von ihnen ab und zieht bei seiner Geliebten ein, Ada Maria bildet mit ihrem Bruder ein verschworenes Zweiergespann. Er arbeitet auf dem Friedhof, sie kümmert sich um den Haushalt. Bis sie eines Tages feststellt, dass da jemand im Wald ist, ein Soldat vielleicht, mehr als zehn Jahre nach dem Krieg, dass da jemand in einer Höhle lebt, der ihr Angst macht – und sie zugleich fasziniert. Tag für Tag geht Ada Maria nun in den Wald, bringt Nahrungsmittel und Kleidung hin, nähert sich diesem Geheimnis an, das ihr Leben verändern wird.
Auf den ersten Seiten bin ich von Magnifica völlig überrumpelt, es ist ein derart sprachgewaltiges Buch. Mit seltsamen Metaphern und einer von Anfang an düsteren Stimmung zieht es mich in seinen Bann. Wie das klingt? Zum Beispiel so:
Magnifica sammelt die Sätze der Mutter, bindet sie sich um wie einen Schal, trinkt sie wie Wasser, lauscht ihnen als Schuldnerin und versucht, während sie sich in die Vergangenheit stürzt, sich nicht heillos darin zu verfangen.
Ihre Haut war jetzt wie diese Waben, ein Gebiet voller Sechsecke, mit neuen geometrischen Formen, Zellen voller Klang. Mit der Zungenspitzt kostete sie vorsichtig. Honig.
Zwischen ihnen war jetzt nur noch – fest und unzertrennlich – eine Girlande mit Schmetterlingen.
Nun ist es so, dass ich derart originelle, poetische Sprachbilder sehr mag, und so bin ich mit dem ersten Drittel des Romans mehr als zufrieden. Doch dann geschehen zwei Dinge, die das ändern: Zum einen gerät die Handlung aus dem Tritt, zieht und zieht sich, die Sequenzen, in denen Ada Maria wieder und wieder in den Wald geht, sich aber nicht viel bewegt, sind mir zu lang. Zum anderen geschieht etwas, das ich euch nicht verraten kann, ohne zu spoilern, es sei nur so viel gesagt: Dieses Ereignis entzieht in meinen Augen der Geschichte jegliche Seriosität, macht sie schrecklich banal, wie einen Sat1-Film, und das kann ich ihr nicht vergeben. Ab diesem Moment sehe ich den Roman an wie jemanden, der mich schwer enttäuscht hat.
Zu guter Letzt lässt mich der Aufbau des Buchs ratlos zurück. Die Rahmengeschichte handelt von Magnifica, selbst schon recht alt, die von ihrem Sohn Andrea einen Stift bekommt, mit dem sie ihre Geschichte aufschreibt. Allein: Es ist gar nicht ihre Geschichte, sondern die ihrer Großmutter bzw. ihrer Mutter Ada Maria. Das wäre ja völlig in Ordnung, wenn Magnifica selbst dann auch noch ihren Anteil bekäme oder das zumindest von Anfang an klar wäre. Das ist jedoch nicht der Fall. Nachdem Maria Rosaria Valentini sich sehr, sehr viel Zeit für Ada Maria genommen hat, behandelt sie Magnifica quasi stiefmütterlich: Ihr gesamtes Leben wird in wenigen Sätzen abgehandelt. Das liest sich, als habe sie einfach keine Lust mehr gehabt, weiterzuschreiben, und bremst den gesamten Roman am Ende unangenehm aus. Was wegen der schönen Sprache und der tollen Bilder ein umso größerer Verlust ist.
Magnifica von Maria Rosaria Valentini ist erschienen bei Dumont (ISBN 978-3-8321-9874-9, 304 Seiten, 22 Euro).