„Mein Körper ist hier, aber mein Herz ist nachhause zurückgereist“
„Für Leute wie uns ist Bildung alles. Ohne guten Schulabschluss haben wir keine Chance in dieser Welt“,
sagt Neni zu ihrem Sohn, dem kleinen Liomi, um ihn dazu zu bringen, fleißig zu sein in der Schule. Sie hält sich auch selbst daran: Wie eine Besessene lernt sie für ihren College-Abschluss und erhofft sich eine Greencard. Sie möchte Apothekerin werden, um jeden Preis. Neni, Liomi und Jende leben in New York, stammen aber aus Kamerun. Jende arbeitet als Chauffeur für einen stinkreichen Bankmanager namens Clark, der für Lehman Brothers tätig ist. Jende ist ein gutmütiger, freundlicher Mann, der froh ist um seinen Job, denn was sein Arbeitgeber nicht weiß: Ob Jende Asyl in Amerika bekommen wird, ist ungewiss. Natürlich empfindet Jende Neid, wenn er Clark oder dessen Ehefrau Cindy durch Manhattan kutschiert, wenn er ihr glamouröses Leben sieht und mitbekommt, wie viel Geld sie haben, aber er sieht auch die Schattenseiten: Die Familie ist zerrüttet, Cindy ist zutiefst unglücklich, genau wie ihre Söhne. Als Neni erneut schwanger wird und Jendes Asylantrag abgelehnt wird, geht jedoch auch durch ihre Familie ein Riss: Neni will unbedingt in Amerika bleiben, während Jende sich mit dem Gedanken anfreundet, zurückzugehen nach Kamerun. Und ihre Kinder geraten zwischen die Fronten.
Ich bin mal wieder zu spät dran. Das geträumte Land von Imbolo Mbue war vor einigen Wochen das Buch der Stunde – sogar Oprah Winfrey hat es empfohlen, was in Amerika einem Ritterschlag gleichkommt. Ich hatte es zu jenem Zeitpunkt längst gelesen, und ich konnte den erneut aufwogenden Hype nicht nachvollziehen. Verstehen kann ich ihn, ja, denn Amerika muss sich auseinandersetzen mit dem Thema Migration, mit Einwanderung und Abschiebung, mit Integration und Rassismus. Das sind sehr wichtige Punkte, die (nicht nur) Amerika bewegen, und inhaltlich legt dieses Buch den Finger direkt in die Wunde: Es geht um Afrikaner, um Menschen mit dunkler Haut, von denen es in den USA so viele gibt, um die Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen haben, um ihre Geschichte. Aus diesem Grund ist es gut, dass Imbolo Mbue dieses Buch geschrieben hat, dass viele, viele Menschen es lesen – denn wenn es nur ein bisschen zu mehr Toleranz beiträgt, haben wir viel gewonnen. Das möchte ich nicht mindern und auf keinen Fall abwerten, wenn ich nun aber sage, dass ich das Buch an sich trotzdem schlecht finde.
Das hat verschiedene Gründe, der erste ist ein persönlicher: Ich hab ein Problem mit afrikanischer Literatur, ich ertrage sie nicht. Die Bücher afrikanischer Autoren sind mir stets zu überfrachtet, zu dramatisch, zu pathetisch – und dabei gleichzeitig zu langatmig, was eigentlich eine Kunst ist. Ich hab es oft genug versucht, um sagen zu können, dass ich mich mit afrikanischer Literatur nicht anfreunden kann. Das ist nicht schlimm, jeder hat eben seine Vorlieben. Tatsächlich ist Das geträumte Land das einzige Buch einer afrikanischen Autorin in letzter Zeit, das ich bis zum Ende gelesen habe – wenn auch mit einigen Bauchschmerzen. Auch hier: Pathos, so weit das Auge reicht. Sehr, sehr viel Klischee. Zähe, lahme Passagen, die man nur überblättern möchte. Und so viel überdrehtes Drama, dass es komplett unglaubwürdig wirkt. Freilich kann ich mir kein Urteil anmaßen: Ich habe noch nie Asyl beantragt, ich habe ausschließlich banale First World Problems, ich war nie in der Situation, in der Neni und Jende sich befinden. Vielleicht würde ich auch versuchen, meine Seele zu verkaufen, mein Kind zurückzulassen, vielleicht würde ich alles Erdenkliche tun und an einem Traum festhalten, der lange schon keinen Sinn mehr macht – ich weiß es nicht. Fakt ist aber: Literatur kann alles erzählen, alles erlebbar machen, auch wenn man selbst weit weg von der abgebildeten Lebenswelt ist. Imbolo Mbue ist es nicht im Geringsten gelungen, mir ihre Protagonisten näher zu bringen. Im Gegenteil, ich hatte große Schwierigkeiten, unter diesen dicken Schichten an aufgemaltem Klischee irgendwas zu finden, das mich berührt. Die reiche Familie, deren Sohn sich abwendet und nach Indien geht (ausgerechnet), deren Mutter nichts zu tun hat außer Wohltätigkeit und die Tabletten nimmt (was auch sonst), deren Vater rund um die Uhr arbeitet und eine Edelnutte aufsucht (eh klar!), schließlich verdirbt Geld den Charakter. Neni, die neidisch ist, aber – obwohl arm – im Herzen glücklicher (miese Sozialromantik), Jende, der rechtschaffen ist und moralisch über dem Bankmanager steht, vom Leben aber abgestraft wird (gähn). Als gegen Ende auch noch – natürlich! – häusliche Gewalt ins Spiel kommt, ist es mir endgültig zu viel. Es gibt kein Klischee, das Imbolo Mbue ausgelassen hätte. Und ich gönne ihr den Erfolg trotzdem, ihr und dem Buch, weil es – bei allem literarischen Versagen – eine wichtige Botschaft hat, weil es von Fremdsein und Toleranz handelt, von der Suche nach einer Heimat, von der Suche nach dem Glück.
„Es ist nicht leicht. Für dich, für deinen Vater, für jedes Kind, für alle Eltern, für jeden. Es ist nicht leicht, das Leben hier in der Welt.“
Das geträumte Land von Imbolo Mbue ist erschienen bei Kiepenheuer & Witsch (ISBN 978-3-462-04796-7, 432 Seiten, 22 Euro).