„Ich dachte, ich sei im Schreiben besser als im Leben“
„Eines Tages verwandeln sich alle in Dämonen, und uns fällt nicht mehr ein, wie wir etwas anderes in ihnen hatten sehen können“,
das schreibt die Schriftstellerin Márta ihrer Freundin Johanna, die Lehrerin ist im Schwarzwald, und sie meint mit diesem Satz eigentlich Menschen, ihren eigenen Mann, aber für mich passt er auch auf dieses Buch. Obwohl ich ein großer Fan von Zsuzsa Bánk bin und ihre Bücher Der Schwimmer sowie Die hellen Tage liebe, hätte ich mir ihren neuesten Roman nicht gekauft, schlicht deshalb, weil er so viele Seiten hat – ich hab ihn geschickt bekommen, und dachte dann: Ja, doch, ich lese ihn, die Seiten schaffe ich, irgendwie schaff ich die, und ich freu mich drauf. Doch dann wurde dieses Buch zu einem Dämon für mich, und mir fällt nicht mehr ein, wie ich etwas anderes in ihm hatte sehen können.
Die Sprache ist nicht das Problem, die Sätze sind lang und schwurbelig, es ist schwierig, da reinzufinden, aber es nicht unmöglich, und irgendwann packt der Rhythmus zu, zieht an, umwickelt, hämmert und pocht, durchwirkt mit den vielen Zitaten von Annette von Droste-Hülshoff, über die Johanna eine Doktorarbeit schreibt. Eins der Probleme ist die Handlung oder besser ihr Fehlen, das Buch zieht sich über fast siebenhundert Seiten und drei Jahre, dicht abgedeckt von E-Mails und Alltagsberichten, aber es bewegt sich nichts. Die beiden Frauen, die einander schreiben und eng befreundet sind, verändern sich nicht, entwickeln sich nicht, ihre Leben bleiben im Grunde gleich, die Kinder werden größer, natürlich, ansonsten – nichts. Es gibt keine Geschichte, vielmehr ist das alles ein Widerkäuen, ein Sich-Wiederholen, ein Auf-der-Stelle-Treten, und ich kann es nicht ertragen, mir schläft beim Lesen das Gehirn ein. Mehrfach überblättere ich die Seiten dutzendweise, und es macht nichts, ich komme trotzdem mit, mir fehlt keine wichtige Info, weil es die kaum gibt.
Ein anderes Problem, das mir dieser Roman bereitet, ist der Inhalt der Mails, der Inhalt dieser zwei Lebensentwürfe. Sie sollen zueinander konträr sein, auf der einen Seite die dreifache Mutter, auf der anderen Seite die Kinderlose, sie schreiben sich freundliche Mails, doch scheint diese Freundlichkeit manchmal einen gewissen Hass aufeinander kaum zu übertünchen, sie halten den Kontakt stets aufrecht, schreiben sich, rufen einander an, helfen sich aber nicht wirklich, sind nur mit Worten füreinander da, nicht mit Taten.
„Dein dralles, überdralles Leben scheint grell auf mein lächerlich sortiertes. Mein übersichtlich festgezurrtes. In dem ich nur um mich selbst kreisen muss. Um keine Kinder. Keinen Mann. Das ist ja auch nicht so schön, wie Du Dir ständig ausmalst. Durch vorgegebene Bahnen immerzu um mich selbst. Summ-summ. In meinem Johanna-Orbit. Kometen und Monde nur für mich.“
Und Johanna hat völlig Recht: Das ist unfassbar langweilig. Wenigstens kann sie mich dadurch nicht so wahnsinnig ärgern wie ihre Freundin Márta. Márta, die nur schreiben will. Die aber unglücklicherweise Kinder hat. Und die deshalb jetzt jeden einzelnen Tag ihres Lebens ganz fürchterlich jammern muss.
Es wurde schon viel geschrieben über Schlafen werden wir später, und ich hab mir sagen lassen, dass nicht alle Besprechungen positiv sind. Ich gehöre zu jenen, die von diesem Roman schrecklich genervt sind. Dabei hatte ich gedacht, ich würde mich identifizieren können mit Márta. Weil ich auch zwei Kinder habe, weil ich auch arbeite, weil ich versucht habe, neben dem Muttersein einen Roman zu schreiben, weil ich weiß, wie schwierig es ist, alles davon. Stattdessen haben Mártas Denkweise und Verhalten mich befremdet.
„Die Kinder saugen mein Leben weg, Johanna, wer ungestört arbeiten will, darf keine Kinder haben, wer etwas anderes erzählt, lügt, aber das weiß ich erst jetzt, niemand hat mir das früher gesagt, alle haben geschwiegen.“
So klingen Mártas Mails, und zwar alle ihre Mails, und ich frage mich: Wie kann das sein? Sie ist als Figur, als Mutter, völlig unglaubwürdig. Beim ersten Kind, ja, vielleicht, da lass ich mir das einreden, dass man vorher nicht weiß, wie anstrengend das wird, aber beim zweiten – niemals, nie, das wusste sie, und keiner, also wirklich keiner, kriegt ein drittes Kind, ohne genau zu wissen, worauf er sich einlässt. Das dritte Kind ist für Profis. Woher kamen diese Kinder denn? Márta hat sie offenbar nicht gewollt, sie klingt, als hätte jemand sie vor ihrer Tür abgestellt und sie gezwungen, sich um die Gschrappen zu kümmern, friss oder stirb, schreiben wirst du nicht mehr. Wieso hat Márta Kinder bekommen, nicht nur eins, sondern drei, wieso hat sie sich nicht vorher – spätestens, als sie zum dritten Mal schwanger war – überlegt, wie das gehen soll mit der Betreuung, mit der Vereinbarkeit, mit dem Schreiben? Wieso kann sie nicht denken: Gut, das ist jetzt so, aber nur für wenige Jahre, dann sind die Kinder größer, ich sollte diese Zeit genießen, die Zeit zum Schreiben kommt von selbst zu mir zurück? Und zu guter Letzt: Was ist das für ein Frauenbild, das Zsuzsa Bánk da vermittelt? Völlige Abhängigkeit, Unfähigkeit, selbst zu entscheiden und zu handeln, eine moderne Gefangenschaft ist das. Und gleichzeitig sind es First World Problems, nichts anderes, Mártas Kinder sind gesund, sie hat ein Haus, einen Mann, Aufträge, Geld, und dennoch wird sie nicht müde, sich zu beklagen. Genau wie ich mich endlos über dieses Buch beklagen könnte, diesen Dämon.
Schlafen werden wir später von Zsuzsa Bánk ist erschienen bei den S. Fischer Verlagen (ISBN 978-3-10-005224-7, 690 Seiten, 24,99 Euro).
Liebe Mariki,
auch wenn deine Rezension mein Herz gerade mächtig durchschüttelt, danke ich für deine ausführliche Besprechung zu meinem Frühjahrs-Herzensbuch. Sie ist das Gegenstück zu meiner. Und das macht es wohl besonders spannend. Selten habe ich ein Buch erlebt, das die Leser derart polarisierte. Die einen lieben es, und die anderen sind wütend.
Und dennoch finde ich mich in einer deiner Fragen wieder. Márta, beispielsweise, hat mir manchmal graue Haare wachsen lassen. Vor allem die Überforderung mit den Kindern oder sagen wir, die Nichtvereinbarkeit mit ihrem Lebens als Schriftstellerin. Die gleiche Frage stellte ich mir auch: Warum hat sie es nicht bei einem Kind belassen? Bis ich die Antwort bei einer Mutter fand.
Ich mochte das Buch aus den Gründen, die dir nicht gefielen. Ich mochte das Unförmige, die Wiederholungen und vor allem die wundervolle Sprache, die dich ja auch am Ende gepackt hat. Ich habe mich da hineingelegt, darin gewälzt und mir manchmal das Ende herbei gesehnt, aber nicht, weil ich Erlösung wollte, sondern weil es mir zu lange dauerte und andere Neuheiten gelesen werden wollten. Doch gelangweilt habe ich mich nie, nie, nie, dreimal hintereinander. Und als ich es ausgelesen hatte, war ich traurig.
Für mich vermittelt Zsuzsa Bánk hier kein Frauenbild. Sie öffnet viel mehr die Tür in das Leben zweier Frauen, denen es aus verschiedenen Gründen nicht gut geht, die versuchen, sich aufzufangen und wieder herauszuziehen. Und ein bisschen musste sie dramatisieren, damit es weh tut und der Romanfaden durchgängig glüht.
Zsuzsa Bánk hat in meinem Interview (https://klappentexterin.wordpress.com/2017/04/21/zsuzsa-bank-ueber-freundschaft/) gesagt, dass ihre Figuren immer viel aushalten müssen. Das stimmt. Deshalb laufen sie ständig durch das Tal der Tränen. Dem einen gefällt’s, die andere wirft das Taschentuch gegen die Wand. Das hat sie auch gesagt. Nicht, dass mit dem Taschentuch, aber dass ihr Art zu schreiben bei anderen Lesern auf Abneigung und sogar Wut stößt.
Und noch etwas andere Schönes hat das Buch: Es ist sehr tröstlich.
Du merkst, ich liebe dieses Buch, und bin nicht davon abzubringen. 😉 Weiß jedoch dass es nicht jedem so geht. Und auch das verstehe ich – nur schwerzen Herzens. Aber hey, das ist die aufregende Welt der Literatur. Und wie schön, dass es Leserinnen wie dich gibt, die sich trotzdem durchquälen. Das wiederum würde ich nicht, wie du weißt.
Es grüßt dich ganz herzlich,
Klappentexterin
Ach, du Liebe! Ich hab beim Lesen an dich gedacht. Und beim Darüberschreiben auch. Ich hab mir gedacht: Jetzt verunglimpfst du das Herzensbuch der Klappentexterin. Ehrlich wahr! Ich weiß ja, wie das ist, wenn man sich verliebt hat in ein Buch, und dann schreibt jemand anderes, dass er es kaum ausgehalten hat. Es tut mir so leid!
Ich hab auch das Interview bei dir gelesen, da steckte ich schon im Roman, und ja, ich konnte ihre Worte nachvollziehen. Es zeigt auch wieder, wie subjektiv man die Lektüre wahrnimmt – ich hab mich in diesem Fall persönlich angegriffen gefühlt, es hat mich aufgewühlt, geärgert, in Unverständnis gestürzt. Es stimmt, dass es polarisiert. Und das ist auch völlig in Ordnung so!
Nichts ist schlimmer als diese langweiligen Bücher, die uns in keiner Weise berühren und völlig kalt lassen.
Gut an diesem Roman ist also wenigstens, dass er DICH glücklich gemacht hat. 🙂
Hallöchen!
Ich habe mich gerade köstlichst amüsiert über deine Rezension zu diesem anscheinend völlig missratenen Buch. 😀 Bewundernswert, dass du es trotzdem irgendwie bis zum Ende geschafft hast – meinen größten Respekt dafür!
Liebe Grüße,
Gabriela
Hihi … hast du es auch gelesen?
Ich habe es bis zur Seite 188 geschafft aber jetzt kann ich nicht mehr.. Es nervt mich so so sehr. Es geht nix weiter und dieses ewige Jammern, das schaff ich nicht mehr. Werde es wohl aufgeben und was anderes lesen.
Ich kann dich SO GUT verstehen!
Vielen Dank für Eure Texte zum Buch “Schlafen werden wir später”.
So fühle ich mich nicht mehr so allein damit. Gleich vorweg, ich mag es gar nicht und habe mich trotzdem durch die unfassbaren fast 700 Seiten gequält, weil ich immer dachte, da muss doch noch was kommen außer schmutzig klebrigen wundervollen Kindern. Du meine Güte, wenn mein Alltag so gewesen wäre, hätte ich aber rasch etwas geändert.
Genervt haben mich neben anderem die Bildungsbürgerzitate und die gefühlt viele Zeit, die mit täglichen Telefonaten und E-Mails verbracht wurde und ansonsten an allen Ecken und Enden fehlte.
Ich habe mich wieder und wieder (nein, nicht dreimal wieder) gefragt, wie kann das dieselbe Autorin sein, die so überaus poetisch “Der Schwimmer” und “Die hellen Tage” geschrieben hat. Dann besser nichts mehr schreiben, als “Schlafen werden wir später”.
Jetzt hoffe ich auf “Sterben im Sommer”. Schaun wir mal …