Netter Versuch: 2 Sterne

Richard Russo: Diese gottverdammten Träume

Russo„Ich bin vielleicht alt, aber ein Arschloch erkenne ich, wenn ich einem begegne“
Miles Roby arbeitet schon seit 20 Jahren im Diner von Empire Falls. Eines Tages, so die Hoffnung, könnte es ihm gehören. Fragt sich nur, ob er es dann überhaupt noch will, denn Empire Falls ist ein trauriges, halbverfallenes Kaff, das seine besten Zeiten längst hinter sich hat. Beteiligt an diesen besten Zeiten waren die Whitings, denen die großen Fabriken der Stadt gehörten und auch sonst ungefähr alles. Von ihnen ist nur noch eine alte Witwe übrig, die Miles Jahr für Jahr vertröstet. Das eben hat es mittelgut mit ihm gemeint: Er ist geschieden, seine Exfrau heiratet bald einen Fitnessguru, der jeden Tag bei ihm im Diner rumhängt, die gemeinsame Tochter quält sich durch die Highschool. Dort begegnet sie einem jener Teenies, bei denen eine Sicherung wackelt und die knapp vorm Ausrasten sind. Richtig glücklich ist Miles nicht, die großen Wünsche haben sich nicht erfüllt, und klar ist eigentlich nur: Er wird noch viel unglücklicher werden.

2002 hat Richard Russo, der an Universitäten lehrte, für dieses Buch den Pulitzer Preis bekommen. Es wurde mit Paul Newman und Philip Seymour Hoffman verfilmt. Diese gottverdammten Träume ist das Porträt eines Mannes und zugleich das Porträt einer amerikanischen Kleinstadt in einem klassischen Neuengland-Setting. Beide haben ihre Glanzzeiten hinter sich, beide hätten vielleicht Größeres erreichen können – doch der Zug ist abgefahren. Jetzt betreiben sie Tag für Tag Schadensbegrenzung, schlagen sich so durch. Sie tragen ihre Geschichte mit sich, ihr Päckchen, ihre Wunden. Eigentlich geht’s ihnen nicht so richtig schlecht, so richtig gut aber auch nicht. Das ist der Grundtenor des Buchs, das sich dem Alltäglichen widmet, dem Kleinen, dem Unauffälligen. Die Zeit ist ein rücksichtsloser Hund, sie vergeht und lässt dich alt werden, ehe du deine Jugend voll ausgekostet hast.

Richard Russo nimmt sich Zeit für dieses Buch. Und Seiten. Sehr viel Zeit und sehr viele Seiten. Ich gestehe: Für mich hätte es die Hälfte auch getan. Er aber ist akribisch, dreht jeden Stein in Empire Falls um, analysiert jede Gefühlsregung, schreibt detailliert und ausführlich und wahnsinnig langatmig. „Für Burgerbrater Miles fließt das Leben so zäh dahin wie der schmutzige Fluss durch seine einstige Textilindustriestadt“, schreibt der Spiegel, und ich finde auch das ganze Buch sehr zäh. Über weite Strecken verliere ich die Geduld mit diesem Roman, in dessen Zentrum eine Stadt steht, in der nie etwas passiert – und genau das ist mein Problem. Die Träume waren nicht sehr groß, die Enttäuschungen sind es auch nicht, genauso wenig wie die Gefühle. Alles ist Mittelmaß. Man arrangiert sich halt. Als dann doch mal was geschieht, was sehr Schlimmes sogar, sind wir schon fast auf Seite 700, und zwischendurch hab ich viel gegähnt. Man merkt, dass der Autor seinen Protagonisten sehr mag, dass er viel Gefühl aufbringt für das Scheitern im Kleinen. Ich jedoch hätte mir doch noch mehr Großes, Bewegendes, Aufrührendes gewünscht.

Diese gottverdammten Träume von Richard Russo ist erschienen im Dumont Buchverlag (ISBN 978-3-8321-9824-4, 752 Seiten, 24,99 Euro).

 

 

 

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