Wenn ich eine Figur aus einem Roman wäre, dann wäre dieser Roman stellenweise schrecklich öd und an anderen Stellen so chaotisch, dass keiner mehr mitkommen würde. Schreiben heißt daher für mich an manchen Stellen untertreiben und an anderen übertreiben – und ich brauche immer viele Post-its, um meine chaotischen Gedanken und Einfälle zu ordnen.
Ich ordne meine Bücher nach Platz! Recherchematerial auf Augenhöhe, schwere Chroniken ganz unten, gelesene Romane hoch oben und aktuelle Bücher im Bett. In meiner Wohnung ist nicht sehr viel Platz, weshalb ich seit 20 Jahren Besitzerin einer Bibliothekskarte bin. Gute Freunde lassen dich nicht im Stich, auch wenn sie nicht alle bei dir wohnen. Manche Bücher sind mehrere Male für ein paar Wochen zu Gast, manche nur einmal, die meisten Gäste dürfen aber im Bett übernachten.
Das Cover meines aktuellen Buchs hat keine Männchen, sondern Kreise am Cover. Und ich habe diesmal keine Schockzigarette gebraucht! Wenn du mit einem nostalgischem Fotocover rechnest und stattdessen Strichmännchen auf den Roman bekommst, schnellt erst einmal dein Puls in die Höhe. Aber das war im Frühjahr 2013. Mittlerweile liebe ich die bunten Figuren heiß und als man bei „Die Schmetterlingsfängerin“ überlegt hat, ein Schwarzweißfoto einzubauen, habe ich sogar heftigst protestiert. Das aktuelle Cover war dann Liebe auf den ersten Blick.
Viel zu selten verwendet wird das Wort verschellen. Denn wenn jemand verschollen sein kann, dann befindet er sich doch irgendwann im Prozess des Verschellens, oder? Peter Heissenberger, einer meiner GRAUKO-Kollegen, hat dazu einen wunderbar witzigen Text geschrieben. Wenn man mich seitdem nach einem seltenen Wort fragt, fällt mir automatisch eines ein, das es nie geben können wird: Denn in dem Moment, wo jemand um das Verschellen einer Person weiß, kann sie schon nicht mehr verschollen sein.
Das Buch meines Lebens ist seit ein paar Jahren immer das, an dem ich gerade arbeite. Da kann es schon mal passieren, dass ich beim Spazierengehen mit meinen Protagonisten plaudere oder sogar in ihre Heimat reise, um ihr Haus zu entdecken und ihre Nachbarn kennen zu lernen. Ich schlüpfe in die Leben, die ich mir ausdenke und manchmal steck ich dort ein bisschen zu sehr fest – das ist dann die Zeit, in der mich meine Freunde als „geistesabwesend“ bezeichnen. Es gab jedoch ein Buch, das habe ich so oft gelesen wie keines, und das bestimmt in nur zwei Jahren. Es hieß „Pony, das kleine Pferd“, das las ich bestimmt mindestens zehnmal. Allerdings hasste ich die Kapitel in der Stadt. Ich mochte das Pony, ich mochte den Bauer Michel, aber die Stadt ließ ich ab dem zweiten Mal Lesen immer aus. Und jetzt, da ich davon schreibe, wird mir erst bewusst, dass ich schon als Kind nicht in einer Stadt leben wollte. Mittlerweile habe ich Wien den Rücken gekehrt und wohne in Graz, auch eine Großstadt laut Wikipedia, aber nicht ganz so hektisch, wenn auch nicht ganz so ruhig wie beim Bauer Michel. (Und wenn man bedenkt, dass Wien für Joe eine Mittelstadt ist, dann ist Graz sowieso ein Dorf.)
Margarita Kinstner, 1976 in Wien geboren, ist Mitglied des Grazer Autorinnen- und Autorenkollektivs GRAUKO und hat ein Kindermagazin gegründet. 2013 erschien ihr Debütroman Mittelstadtrauschen, 2015 ihr zweites Buch Die Schmetterlingsfängerin im Deuticke-Verlag. Foto von Isolde Kerstin Bermann.