#RefugeesWelcome
Kennt ihr das, dass ihr etwas sagen möchtet, aber ihr schweigt, weil es euch so nahegeht, und ihr schweigt immer länger und länger, bis sich all die Emotionen schon so angestaut haben, dass ihr sie kaum noch in Worte fassen könnt? Ich kenne das eigentlich nicht. Es kommt selten vor, dass ich nicht sage, was ich denke. Doch seit einigen Monaten sitzen mir diese drei Wörter auf der Brust, und sie drücken schwer: Ich schäme mich. Ich schäme mich entsetzlich. Für alle, die ihre Herzen vernagelt haben, für Traiskirchen, für die beschissenen Zelte, in die es hineinregnet, für die mitleidslosen, handlungsunfähigen, schweigsamen Politiker, für jeden einzelnen Flüchtling, der in diesem reichen Land so menschenunwürdig behandelt wird. Erst haben wir sie alle im Mittelmeer ersaufen lassen, und jetzt geben wir denen, die es trotzdem geschafft haben, die den ganzen weiten Weg unter großen Gefahren hinter sich gebracht haben, nicht einmal ein Dach über dem Kopf. Und dann dachte ich: Wenn du darüber bloggst, wen interessiert das? Es wird untergehen. Nur Leute, die eh schon sensibilisiert sind, werden es lesen. Es wird nichts nützen. Aber: Zu schweigen, nützt noch viel weniger. Denn wenn wir alle schweigen, sind die Stimmen der Rechten so viel lauter, und das ist inakzeptabel. Wir müssen dagegenhalten!
Im Jahr 1957 ist mein Opa, der in Slowenien aufgewachsen ist, vor Titos Regime geflohen. Als er durch die Mur geschwommen ist, haben sie ihm nachgeschossen. Er war in einem Auffanglager in Graz und wollte eigentlich nach Kanada – dass er in Österreich geblieben ist, war nur ein Zufall. Mein Opa ist ein Flüchtling. Meine Oma stammt aus Düsseldorf, sie wurde 1940 geboren während eines Fliegeralarms. Und meine Vorfahren väterlicherseits waren fahrende Handwerker aus Böhmen und Mären. Sie alle haben sich einst hier niedergelassen, und ich bin hier geboren. Aber macht mich das zum Österreicher? Gibt es mir das Recht, zu sagen, dies ist MEIN Land, mit einer völlig willkürlich im Lauf der Geschichte gezogenen Grenze, und sonst darf hier keiner rein? Warum denn, bitteschön? Wir sind alle Menschen und alle gleich. DEN Österreicher an sich, den gibt es doch gar nicht, weil all die Pavicics und Havels und Dvoraks Vorfahren aus anderen Ländern haben, aus der alten Monarchie, und gut ist das! Jeder hat einen Flüchtling in seiner Familiengeschichte, einen Einwanderer, einen, der mal ein Ausländer war. Wie STS einst sang: I bin die feine Mischung, special blend, soiche wie mi, waßt wie ma de nennt, i bin die wilde Sorte, do werd’n Braune bleich, i bin aus Österreich. Ich sehe deshalb nicht ein, warum auch nur einer von uns mehr Rechte haben sollte, hier zu leben, an diesem zufällig gewählten Ort, als einer aus Syrien, dem Irak, dem Kosovo. Wer hier geboren ist, hat einfach Glück gehabt, so viel Glück, dass er es leicht mit anderen teilen könnte.
Nur leider sind die Menschen scheiße. Sie sind verachtenswert. Sie sind gierig, egoistisch, neidisch und herzlos. Sie sind schlimmer als Tiere. In Griechenland wurde Tränengas gegen die Flüchtlinge eingesetzt. TRÄNENGAS! Gegen Menschen, die Tausende Kilometer vor Bomben und Terror geflohen sind! Als ich das gelesen habe, habe ich geheult. Das System Menschheit kollabiert. Wir bringen uns gegenseitig um, und vielleicht, so denke ich oft, ist das auch besser so, dann sind wir irgendwann endlich weg, und die Erde hat wieder ihre Ruhe. Seit ich 14 bin und ein bisschen was von der Welt verstehe, leide ich an Menschheitshass. Vor lauter Grausamkeit, Gewalt, Umweltverschmutzung und Tiermord möchte ich an manchen Tagen einfach gar nicht mehr hier sein. Weil mir vorkommt, dass niemand Mitgefühl, Anstand und Verstand hat. Weil wir alle, mich eingeschlossen, über unser Wohlstandsbäuchlein jammern und die drei Kilo zu viel, aber so tun, als hätten wir den Flüchtlingen nichts zu geben. Ich ertrage es nicht. Und ich fühle mich ohnmächtig.
Aber gut. Ich BIN nun mal hier. Und was tue ich? Wie kann ich helfen? Es vergeht kein Tag, an dem ich mich das nicht frage. Ich habe bereits alles Mögliche ins Flüchtlingsheim Thalgau getragen, Handtücher, Kleidung, Gläser, Schuhe, habe für die Männer dort Hygieneartikel gekauft und meinen Sohn seinen Ersatz-CD-Player zu den „Früchtlingen“ bringen lassen, damit sie Deutsch lernen können. Aber das reicht natürlich nicht. Wie könnte es! Ich bräuchte Zeit, um vielleicht jemandem beim Lernen der Sprache zu helfen, eine Patenschaft zu übernehmen, aber ich kann von Montag bis Samstag wegen meiner kleinen Kinder und unserer beider Arbeit kaum allein weg. Ich fühle mich sehr schuldig deswegen. Aber immerhin kann ich protestieren. Den Mund aufmachen. Nicht mehr schweigen. Euch auf die Spendenaktion von #BloggerfuerFluechtlinge aufmerksam machen, für die bereits in kürzester Zeit fast 10.000 Euro zusammengekommen sind, oder auf näherliegende Salzburger Initiativen, die z. B die gute Güte gesammelt hat. Ich kann euch bitten, das hier zu teilen oder selbst unter dem Hashtag zu bloggen, ich kann euch bitten, nicht wegzuschauen, sondern zu helfen. Keiner dieser Flüchtlinge hat freiwillig seine Heimat verlassen, um bei uns zu schmarotzen, sie würden viel lieber in Frieden leben, in ihrem Zuhause. Sie haben nichts, gar nichts. Aber sie bringen Mut und Andersartigkeit, viele Talente, neue Sichtweisen, sie bringen Kinder, von denen wir ohnehin zu wenig haben in unserer Wohlstandsfaulheit, sie bringen Vielfalt. Rücken wir zusammen, machen wir ein bisschen Platz. Es ist doch wohl wirklich genug für alle da. Wir müssen nur endlich lernen, zu teilen.
Die Initiative #BloggerfuerFluechtlinge wurde ins Leben gerufen von Karla Paul, Paul Huizing, Nico Lumma und Stevan Paul. Hier gibt es die Website dazu. Beiträge findet ihr beispielsweise bei Literaturen, Lust auf Lesen, buchkolumne, Pinkfisch, Lummaland und vielen weiteren. Macht auch mit. Wir sind viele. Wir sind MEHR!
Vieles lese ich hier, das mich auch beschäftigt. In anderen Färbungen, Tönen und Worten. Fragezeichen die mich umkreisen und gleichzeitig vor schnellen Schlusspunkten oder gar Ausrufezeichen warnen.
Wenn wir Österreich als Einwanderungsland sehen, das es schon war und ist, ändert das einiges. Bei mir. Und doch merke ich, dass auch ich dieses Teilen (noch) nicht wirklich gewohnt bin.
Weil du deine kleinen Kinder angeführt hast – bei uns gibt es den Spruch: Kinderdienst ist Gottesdienst (also ein Dienst am großen Ganzen). Was, wenn es Teil deiner Aufgabe ist, deine Kinder so in diese gesellschaftlichen Erfordernisse hineinzubegleiten, dass sie einen guten Weg in eine gemeinsame Zukunft finden und gehen können?
Danke für deine sehr ehrlichen und offenen Worte! Warum sollte Österreich kein Einwanderungsland sein? Wir brauchen die Neuankömmlinge doch sogar, damit unser Sozialsystem nicht kollabiert…
Und was meine Kinder betrifft: Wenn ich mir vorstelle, dass sie später mal die FPÖ wählen oder gar Brandbomben werfen, erfasst mich schiere Panik. Dann hätte ich komplett versagt.
Da sagst du etwas! Das wäre eine große Herausforderung, wenn der Nachwuchs solche Richtungen einschlägt!
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