Ich hab ganz vergessen, was ich …
Maud hat richtig viele Pfirsichdosen in ihrer Küche. Das liegt daran, dass sie, wenn sie im Supermarkt steht, vergessen hat, warum sie gekommen ist. Überhaupt vergisst Maud so ziemlich alles: dass sie gerade das Gas eingeschaltet hat, um zu kochen, wie ihre Enkelin heißt und wohin ihre beste Freundin Elizabeth verschwunden ist. Die geht nämlich nicht ans Telefon und öffnet die Tür nicht – aber sie würde doch nie verreisen, ohne Maud Bescheid zu geben. An ihrem letzten gemeinsamen Abend waren die beiden kurz davor, ein jahrzehntealtes Geheimnis zu lüften … aber was ist dann geschehen? Und was weiß Elizabeths unfreundlicher Sohn? Maud ist fest entschlossen, ihre Freundin zu finden, stößt jedoch bei ihrer Tochter Helen sowie bei der Polizei auf wenig Verständnis für ihre Verdächtigungen. Und niemand erkennt, dass Maud weiter und weiter in die Vergangenheit abrutscht, 70 Jahre zurück, in jene Zeit, in der ein Untermieter in ihr Elternhaus einzog, eine verrückte Frau durch die Straßen lief und Mauds geliebte Schwester für immer verschwand …
Eigentlich ist die Geschichte, die in Elizabeth is missing von Emma Healey steckt, recht simpel – und das Rätsel wäre leicht zu lösen. Denn alle Hinweise liegen direkt vor meiner Nase. Ich kann sie bloß nicht sehen – weil ich durch die Augen von Protagonistin Maud schaue, und Maud ist dement. Die junge Autorin hat für ihren Erstling eine ungewöhnliche Perspektive gewählt: Sie lässt die Story von einer alten Frau erzählen, die sie eigentlich nicht erzählen kann, weil sie keine Zusammenhänge mehr erkennt, sämtliche Details vergisst, Namen durcheinanderbringt und nicht mehr weiß, was sie 30 Sekunden zuvor getan hat. Und genau deshalb ist dieser Roman so originell. Wer jedoch jetzt denkt, Emma Healey würde sich in den vielen offenen Fragen und Wiederholungen verstricken, liegt falsch. Sie nutzt vielmehr den trüben Blick von Maud, um mich als Leserin nach allen Regeln der Kunst zu verwirren.
Hochgeistige Literatur ist das freilich nicht. Ich habe Elizabeth is missing im Urlaub gelesen, und dafür war es absolut perfekt. Weil es leicht und unterhaltsam ist, dabei aber durchaus ein bisschen Tiefgang hat. Denn eine Demenzerkrankung ist tragisch und traurig – für den Betroffenen genauso wie für die Angehörigen. Die Verwirrung und die Verzweiflung hat Emma Healey spürbar gemacht. Maud ist ratlos, gefangen in ihrer eigenen Welt, absolut liebenswert – und klärt trotz allem ein Verbrechen auf. Sehr gut gemacht!
Elizabeth is missing von Emma Healey ist 2014 unter dem Titel Elizabeth wird vermisst bei Bastei Lübbe erschienen.