Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

Thomas Meyer: Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse

Meyer„Gefährliche Sache, diese frojen! Lächeln dich an und schon sagst du zu allem Ja“
Motti heißt eigentlich Mordechai Wolkenbruch und ist ein orthodoxer Jude. Seit seine mame sich in den Kopf gesetzt hat, dass er heiraten soll, präsentiert sie ihm eine Kandidatin nach der anderen – und alle sehen aus wie sie. Also nicht gut. Aber für seine Ausflüchte hat sie kein Verständnis: „Offenbar herrschte im Gehirn meiner Mutter ein permanenter Kurzschluss, egal wie man die Kabel auch immer legte.“ An einer anderen Frau hat Motti dagegen sehr wohl Interesse: an seiner Kommilitonin Laura – doch die ist leider eine Schickse. Und das ist in Familie Wolkenbruch ein absolutes Tabu, denn sie lebt streng religiös und hält sich an die Regel, dass Juden am besten unter sich bleiben: „Die briln ist vom jüdischen Optiker, die matraz vom jüdischen Bettwarenhändler und das ojto vom jüdischen Garagisten.“ Was also tun, wenn das Herz in die eine Richtung zieht – und die Familie in die andere?

Was für ein saulustiges Buch! Ich habe mich mit Thomas Meyer und seinem Motti glänzend amüsiert – auf der Rückreise von der Leipziger Buchmesse, wo dieses Buch zu meinem großen Glück den Weg in meine Tasche gefunden hat (nein, ich habe es nicht geklaut). Erst mal war ich erstaunt darüber, dass Thomas Meyer beinhart so viel Jiddisch einbaut. Nach zwei, drei Seiten fand ich das aber gleich richtig toll und originell. Bei allen bisher verspeisten Büchern mit jüdischen Protagonisten ist mir sowas bisher noch nie untergekommen. Quasi sofort hat sich das pure Vergnügen eingestellt – und ist bis zum Schluss geblieben, obwohl der Roman ganz anders endet, als ich es erwartet habe. Motti ist ein supersympathischer Buchheld, der aus dem Judentum auftaucht wie aus der Versenkung. Er hat sein Leben hinter einer großen Schutzmauer verbracht – und als er erkennt, dass es „da draußen“ schickere Brillen, Alkohol, Partys und Sex gibt, will er verständlicherweise nicht mehr zurück. Allein – seiner Familie fehlt dieses Verständnis komplett. Deshalb ist es einigermaßen herzzerreißend, Motti dabei zuzusehen, wie er nach einem Weg für sich selbst sucht – und wie er letztlich, um ihn zu finden, alles verlieren muss. Trotz dieser traurigen Seite an der Geschichte ist Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse ein sehr heiteres, intelligentes und unbedingt zu lesendes Buch!

Banner

Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse von Thomas Meyer ist erschienen im Diogenes Verlag (ISBN 978-3-257-24280-5, 288 Seiten, 10,90 Euro).

Noch mehr Futter:
– „Thomas Meyers Entwicklungsroman im Stile Woody Allens ist eine religiöse Emanzipationsgeschichte – mit zuverlässig witzigen Pointen“, heißt es auf faz.net.
– „Thomas Meyer, in seinem zweiten Leben offenbar als sprach- und kommunikationsgetriebener Werbetexter tätig, erzählt dies alles frisch und leicht, durchsetzt mit unzähligen jiddischen Einsprengseln“, wird auf nzz.ch geschwärmt.
– Und das ist die Meyer’sche Website.

0 Comments to “Thomas Meyer: Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse”

  1. Das Buch wurde mir schon im Winter bei einer Büchervorstellung in meiner Lieblingsbuchhandlung empfohlen. Danke, dass Du mich daran erinnerst, dass es bei mir auf der Wunschliste steht, und schön, dass es Dir offenbar so gut gefiel.

    Alles Liebe.
    Kerstin

    Reply

Leave a Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.