„Man lernt die Welt immer besser kennen, trotzdem wird das Staunen größer, nicht kleiner“
Julian ist 22 Jahre alt und hat soeben seine erste Trennung hinter sich gebracht. Obwohl er Judith nicht mehr liebt, wirft es ihn aus der Bahn, dass er jetzt ohne sie weitermachen muss. Er ist orientierungslos und verwirrt, findet keinen rechten Antrieb und setzt sich kein Ziel. Also verbringt er den Sommer erst einmal damit, sich um ein Zwergflusspferd zu kümmern. Es ist in Professor Behams Garten untergebracht, und Julian übernimmt den Job vorübergehend von Tibor, einem Freund, den er sehr mag und gleichzeitig beneidet: „In Tibors Leichtigkeit steckte eine Schönheit, die mir wirklich gefiel, aber sie bedrückte mich auch wegen der Hoffnungslosigkeit dahinter, die machte mich fertig.“ Das Flusspferd ist alles andere als leicht, schwer ist es und schwerfällig, behäbig, gleichgültig. Es frisst und schläft und stinkt. Und ihm dabei zuzusehen, hilft Julian, ein bisschen runterzukommen. Allerdings nur zum Teil, denn der Professor hat eine verdammt ansehnliche und interessante Tochter namens Aiko …
Auf der Leipziger Buchmesse habe ich bei einem Interview mit Arno Geiger zugehört und war sehr beeindruckt von dem schmalen Mann mit den pointierten Antworten. Er hat kurz über den Entstehungsprozess seines neuesten Buchs gesprochen, an dem er vier Jahre gearbeitet hat und das sich grundsätzlich von seinen vorigen Romanen unterscheidet – für die der Autor sich jeweils einen völlig neuen Blickwinkel angeeignet hat. Ich kenne davon nur Es geht uns gut, sein Debüt, mit dem er den Deutschen Buchpreis gewonnen hat, und das fand ich damals sehr gut. In Selbstporträt mit Flusspferd schreibt er über einen 22-Jährigen und tut dies so überzeugend, dass ich ihm jedes Wort und jede Regung glaube. Das ist das eigentlich Faszinierende an diesem Buch – dass es Arno Geiger derart gut gelungen ist, sich in einen Menschen am Beginn seines Erwachsenenlebens hineinzuversetzen.
Nun ist es allerdings so, dass die meisten Zwanzigjährigen – zumindest die, die ich kenne – so unfertige Persönlichkeiten sind, unkonzentriert, wabernd, haltlos, und damit nur bedingt interessant. Weil es da einfach noch nicht viel zu sehen gibt. Coming of Age, ja, natürlich, aber com doch bitte mal in die Gänge! Es ist einerseits grandios beschrieben, wie Julian vor sich hin sumpert, leidet, das Flusspferd beobachtet und um Aiko herumschwenzelt. Aber ein wenig eintönig ist es auf Dauer auch, und das finde ich schade, weil ich mir für das Buch mehr Drive, mehr Handlung, mehr Ergebnisorientiertheit gewünscht hätte. Was absurd ist, weil ein Zwanzigjähriger genau das alles eben nicht hat. Genausowenig wie ein Flusspferd. Auf jeden Fall gilt in Bezug auf Arno Geiger: lesen. Zur Not halt eines seiner anderen Bücher.
Selbstporträt mit Flusspferd von Arno Geiger ist erschienen bei den Hanser Literaturverlagen (ISBN 978-3-446-24761-1, 288 Seiten, 20,50 Euro).
Noch mehr Futter:
– „Der Witz ist: Auf gewisse Weise hat Julian ein Flusspferd-Gemüt. Er ist ein Langweiler im Niedrigenergie-Modus, vor sich hin grübelnd über banale Lebensweisheiten, sinn- und ziellos wie eine Tschechow-Figur. Ein vom Aussterben bedrohtes Wesen in einer jungdynamischen, durchdesignten Gesellschaft“, heißt es auf spiegel.de.
– „Scheinbar passiert hier nicht viel: Ein 22-Jähriger hängt beim Erwachsenwerden fest, zwischen Frauen und Unsicherheiten. Arno Geigers Roman Selbstporträt mit Flusspferd erzählt von dieser Wartesaalstimmung – und trifft unser Gegenwartsempfinden“, schreibt zeit.de.