„Stell dir vor, du hackst einen Baum auf, und in ihm befindet sich ein ganz kleiner Baum. So ist es, ein Mensch zu sein“
Vier neue Nachrichten sind vier Geschichten. Sie handeln von einem Drogendealer, der auf einer Party mitfeiert und dabei Dinge erzählt, die er besser für sich behalten hätte – denn ein Mädchen berichtet Tags darauf in ihrem Blog davon und stellt ihn bloß. Nun versucht er panisch, den Eintrag löschen zu lassen, und muss lernen, wie gnadenlos das Internet ist. Einen ganz anderen Kampf ficht ein McJob-Lohnschreiber aus, der seinem Vater im Detail von einer mörderischen, fiktiven Geschichte erzählt und der niemandem sagen kann, wie sehr er seinen Job hasst. Ums Schreiben ging es auch im Seminar eines New Yorker Professors an einer Uni in der Provinz – und einer der Teilnehmer erinnert sich viele Jahre später bei einem Besuch in New York an das Tragische, das damals geschah. Tragisch ist auch das Schicksal vieler osteuropäischer Mädchen, die in der Pornobranche landen: „Nachdem die Mädchen bei dem, was sie eben tun, gefilmt worden sind, gehören sie nicht mehr sich selbst, sondern der Welt, weil sie nicht mehr nur Körper sind, sondern auch Bild, sie sind überall und gehören jedem. Jetzt frag dich mal, wo sie dann existieren, falls sie noch existieren.“
Joshua Cohen, 1980 geboren, ist einer der neuen gefeierten Stars am amerikanischen Literaturhimmel, er wurde mit Preisen ausgezeichnet und arbeitet auch als Buchkritiker. Er wird bereits jetzt mit Thomas Pynchon und David Foster Wallace verglichen. Und auch wenn ich von Wallace nur ein Buch gelesen habe, das mich definitiv nicht berührt hat, muss ich sagen, dass an dem Vergleich durchaus was dran ist. Joshua Cohen schreibt sehr hart, mit distanziertem, mitleidlosem Blick auf seine Figuren, sehr modern, kühl und kantig. Das ist keine Sprache, die ans Herz geht – und das muss sie auch gar nicht. Sie ist arrogant, sie ist sich ihrer selbst sicher, sie spielt, sie verwirrt. Und zwar stellenweise sehr. Während ich mit der ersten Geschichte (über den Drogendealer) und der dritten Story (über das Schreibseminar) sehr gut zurechtkomme, beiße ich mir an den anderen beiden fast die Zähne aus.
Bei Geschichte Nummer zwei (über den Schreiberling) liegt das daran, dass sie wahnsinnig langatmig und eigenartig verschachtelt ist – ein fiktives Werk, in dem jemand von seinem fiktiven Werk erzählt. Die vierte Story (über die Porno-Mädchen) dagegen ist komplett abgedreht, sehr, sehr eigenartig, unheimlich, unsinnig. Ich frage mich mehr als einmal, ob ich überhaupt verstanden habe, was diese Geschichte von mir will. In der Essenz ja, im Detail nicht. Ich finde es sympathisch, wie wenig Joshua Cohen sich um die Verständlichkeit seiner Sätze und Storys schert. In dieser Hinsicht gleicht er auf jeden Fall dem großen David Foster Wallace. Und wer diesen liebt, wird den kleinen Cohen ganz sicher mögen!
Vier neue Nachrichten von Joshua Cohen ist erschienen im Schöffling Verlag (ISBN 978-3-89561-625-9, 272 Seiten, 19,95 Euro).
Noch mehr Futter:
-„McDonald’s ist definitiv die Geschichte, die am skurrilsten anmutet, die am exzentrischsten, absurdesten und kryptischsten daherkommt – sie ist aber literarisch so genial und sprachlich so tiefsinnig, dass man Cohen all das verzeiht“, heißt es auf spiegel.de.
– „Cohen benutzt die sprachlichen und habituellen Codes des Digitalen auf eine Weise, die auf totale Immersion schließen lässt“, schreibt die Zeit.
– „Einer der Autoren, die eine literarische Form gefunden haben, mit der dieser Gegenwart beizukommen ist, ist Joshua Cohen“, schwärmt standard.at.
– Hier könnt ihr das Buch bei ocelot.de bestellen.