Von der Ankunft in der Fremde
„Das ist Amerika, sagten wir uns, wir müssen uns keine Sorgen machen. Und wir irrten uns.“ Sie kommen mit dem Schiff, junge Japanerinnen auf dem Weg nach Amerika, wo sie, wie sie hoffen, ein besseres Leben erwartet. In den Taschen tragen sie Fotos ihrer künftigen Ehemänner, die in Wahrheit anders aussehen und nicht einmal halb so reich sind wie angegeben – und auch alle anderen Träume entpuppen sich als platzende Seifenblasen: Die Frauen werden zu schwer schuftenden Erntehelferinnen, zu Nomaden, Kindermädchen, Wäscherinnen, Prostituierten. Eine jede hat ein anderes Schicksal, und doch sind sie alle darin vereint: Sie sind fremd, verstehen weder Sprache noch Sitten, bekommen Kinder, die sich später von ihnen abwenden, werden nicht glücklich, nie, und am Ende, als Pearl Harbour geschieht, verschwinden sie auf einmal ganz.
Julie Otsuka erzählt vom Unglück im Kollektiv. Die amerikanische Autorin mit japanischen Wurzeln gibt all jenen Japanerinnen eine Stimme, die mit großen Hoffnungen und Träumen nach Amerika kamen, wo sie von der Realität bitter enttäuscht wurden. Das schmale Büchlein ist zur Gänze in der ersten Person Plural geschrieben und berichtet in dieser Wir-Form von allen Einzelschicksalen: „Wir zogen an ihre Stadtränder, wenn sie uns ließen. (…) Wir wanderten in ihren heißen, trockenen Tälern. (…) Wir pflückten ihre Erdbeeren in Watsonville. (…) Manchmal näherte sich uns der Boss von hinten, während wir gebückt auf seinen Feldern standen. (…) Einige von uns arbeiteten als Köchinnen in ihren Camps, und einige von uns als Tellerwäscherinnen. (…) Einige von uns bestahlen sie. (…) Manchmal entließen sie uns ohne Vorwarnung.“
Dieser Erzählstil ist einerseits originell und spiegelt sehr gut das Gemeinsame an den verschiedenen Leben wider: die Einsamkeit, die Hilflosigkeit, das Scheitern der Träume. Andererseits aber ist diese Art des Berichts zutiefst befremdlich, niemand ist greifbar, niemand tritt aus der Gemeinschaft heraus, es ist fast so, als existiere keine der Frauen wirklich. Als seien ihre Stimmen nur das Flüstern von Geistern – ein Eindruck, der sich noch verstärkt, als am Ende von den Japanerinnen nichts bleibt außer schwache Erinnerungen. Julie Otsuka hat ein hartes, schnörkelloses, brutales Buch geschrieben, in dem es nichts zu lachen gibt für niemanden, freilich auch nicht für den Leser. Sehr kurz, aber intensiv und eindrucksvoll.
Wovon wir träumten von Julie Otsuka ist erschienen im mare Verlag (ISBN 978-3-86648-179-4, 160 Seiten, 18 Euro).
Noch mehr Futter:
– „Julie Otsuka stützt sich auf echte Schicksale, im Nachwort des Romans listet sie akribisch die historischen Quellen auf, auf die sie zurückgegriffen hat“, heißt es in der Rezension auf spiegel.de.
– In dieser Ausgabe des Literaturclubs wird das Buch besprochen.
– Hier könnt ihr die Website der Autorin besuchen.
– Und hier könnt ihr das Buch auf ocelot.de bestellen.
Ich dachte mir schon beim Lesen, dass die Erzählform wohl nicht jedem zusagen wird. Für mich war die Wir-Form aber ganz essentiell um die Geschichte real erscheinen zu lassen. Sonst habe ich bei solchen historischen Themen oft das Gefühl der Protagonist ist nur ein “Vorzeigemodell”, einer der repräsentativ für die Erfahrungen aller stehen muss. Hier hatte ich allerdings das Gefühl tausende Leben zu erleben, die sich stark unterscheiden aber trotzdem eine Gemeinschaft darstellen.