„Heutzutage weiß ja jeder, dass es so etwas wie die Wahrheit im Grunde gar nicht gibt“
15 Jahre ist es her, dass Damien, Lizzie, Nick und Rachel aus der Vorstadtstraße Chesterton Close beschlossen haben, ihre Unschuld zu verlieren. Sie sind zu diesem Zeitpunkt alle 14 Jahre alt und, so glauben sie, bereit. Was dann geschehen ist? Nun, das versucht ein namenloser Jemand herauszufinden – indem er in der Vergangenheit wühlt und mit allen redet, die beteiligt waren oder etwas über die Geschichte wissen: neben den vier ehemaligen Freunden auch mit Rachels Vater und Lizzies Mutter sowie dem Pfarrer. Jeder hat eine Meinung zu den Ereignissen, jeder stellt sich selbst und die anderen auf seine Art dar: „Sie haben Glück, wenn Sie aus dieser Sache mit weniger als zwanzig, dreißig Versionen der Geschichte herauskommen, und ich wünsche Ihnen viel Glück dabei, sich daraus eine Wahrheit zusammenzubasteln.“ Was dabei entsteht, ist ein Puzzle, bei dem jedoch auch am Ende nicht alles so richtig zusammenzupassen scheint.
Für ihr Debüt hat die junge Autorin Sophie Coulombeau aus Manchester eine ungewöhnliche Erzählperspektive gewählt: Alle vorkommenden Personen sprechen jemanden direkt an, mit dem sie per Sie sind. Wer das ist, bleibt unklar, wer sich für diese 15 Jahre alte Geschichte interessieren könnte und wem all diese Leute derart Intimes anvertrauen würden, frage ich mich bis zum Schluss. Von Anfang an geben alle Erzählenden immer wieder Hinweise darauf, dass ohne Ende gelogen wird: „Lassen Sie mich was über Ehrlichkeit sagen: Sie existiert nicht.“ Da werden mir Geheimnisse angekündigt, Überraschungen, Unangenehmes, etwas, das alle aufgerührt hat und 15 Jahre später immer noch bewegt. Jemand war sogar im Gefängnis deswegen! Und dann? Dann macht es puff.
Denn all die aufgebauschten Erwartungen fallen am Ende zusammen wie ein misslungenes Soufflé. Das, was Sophie Coulombeau als Auflösung präsentiert, ist gelinde gesagt gewöhnlich und klischeehaft, es ist so erwartbar, dass ich es nicht erwartet habe, weil ich dachte, die Latte sei höher gesetzt. Dass ich enttäuscht bin, kann ich nicht verhindern, und als hätte die Autorin es geahnt, versucht sie das auch aufzugreifen: „Eigentlich albern, wie sehr wie uns damals in die Sache reingesteigert haben. Aber als Teenager nimmt man eben alles wichtig, und die Hormone spielen verrückt. Wie auch immer, danach schien alles ziemlich schnell zu verblassen. Deshalb ist es ein bisschen lächerlich, dass Damien immer noch so tut, als wäre das alles ein Riesending gewesen.“ Nur hätte ich mal vorher wissen müssen, dass da eben kein Riesending kommt. Für mich gilt dasselbe für diesen Roman, der ziemlich schnell verblasst ist – was schade ist, denn mit ein bisschen mehr Fantasie und Originalität hätte wirklich was Gutes draus werden können.
Nach allem, was passiert ist von Sophie Coulombeau ist verschienen im Kein & Aber Verlag (ISBN 978-3-0369-5690-9, 256 Seiten, 17,90 Euro).
Was ihr tun könnt:
Euch eine Leseprobe herunterladen.
Eine Rezension auf buecherrezension.com lesen, wo man recht begeistert von dem Buch war.
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Das Buch bei ocelot.de bestellen.
Die Erzählperspektive klingt reizvoll. Schade, dass das Buch am Ende doch kein Riesending ist.