„Solange ich die Dinge nur denke, tun sie niemandem was“
„Mein Problem ist, ich liebe eine Frau, aber ich glaube, ich werde irgendwann aufhören, sie zu lieben, und ich lehne eine Welt ab, in der das möglich ist. Mein Problem ist, ich bin Philosoph, und ich beschäftige mich mit Bewusstsein, also mit dem, was man früher Seele genannt hat, und ich habe manchmal Angst, die anderen könnten recht haben, die sagen, Bewusstsein ist nur eine Illusion, denn wenn sie recht haben, sind wir, wenn wir tot sind, einfach tot.“ Probleme hat der junge Philosoph allerhand:
1. Er ist in New York. Die Frau, die er liebt, ist nicht in New York.
2. Er soll einen Vortrag über das Bewusstsein halten, und ihm fällt kein Wort ein.
3. Er denkt. Zu viel. Nie kann er aufhören zu denken: „Als ich zu Hause bin, setzte ich mich an den Küchentisch und versuche, an nichts zu denken. Es klappt nicht. Je konzentrierter ich die Wörter aus meinem Bewusstsein wegschiebe, desto härter prallen sie wieder zurück, von den Wänden, den Möbeln, den ungeöffneten Briefen zwischen den alten Zeitungen auf dem Tisch, von der Farbe des Himmels, der Form der Wolken, dem Geruch in der Küche.“
4. Er kann nicht glücklich sein: „Ich überlege, ihr zu sagen, dass ich nur dann glücklich bin, wenn ich mich nicht frage, ob ich glücklich bin, und dass ich mich das eigentlich immer frage, außer wenn ich esse, saufe, scheiße oder ejakuliere.“
5. Er kann nicht treu sein. Nicht einmal ein bisschen: „Es ist mir physikalisch nicht möglich, das Auftauchen eines weiblichen Körpers in meinem Gesichtsfeld zu ignorieren.“
6. 1–5 sind ihm stets bewusst und er denkt ohne Unterlass darüber nach.
Heinz Helle hat in New York studiert – und zwar Philosophie. Anders gesagt: Damit hat er quasi Recherchearbeit betrieben für seinen ersten Roman Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin. Denn der Protagonist, der namenlose Ich-Erzähler, befindet sich in New York – und er ist Philosoph. Das Denken über das Denken bestimmt all sein Tun, seine Wahrnehmung, jede Minute seines Seins. Es gibt für ihn keinen Zustand, in dem er frei wäre vom Philosophieren. Und das ist sehr anstrengend. Nicht nur für ihn, auch für mich. Denn ich bin zwar nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen, fühle mich aber, wenn ich die ganze Zeit über die Box in der Box in der Box nachdenke, irgendwann komplett zusammengeschrumpelt. Das klingt dann so: „Wenn man, während man etwas tut, außerdem denkst, dass man etwas tut, ist man weniger gut in dem, was man tut, weil man ja einen Teil von dem, was man braucht, um zu tun oder zu denken, dafür verwendet zu denken, was tu ich hier eigentlich?“ Ich kann mich die ganze Lektüre über nicht entscheiden, ob ich den Herrn Philosoph vor Mitleid umarmen oder ihm eine Kugel zwischen die Augen jagen will.
Das Leben ist kompliziert. Und für den Ich-Erzähler in Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin ist es sogar so kompliziert, dass man sich fragt, wie er es eigentlich erträgt. Er verwickelt sich so sehr im Strudel seiner Gedanken, dass er alles, woran ihm etwas liegt, an die Wand fährt. Er kann das Leben nicht genießen. Nur in vereinzelten hellen Augenblicken gelingt es ihm, sich von dieser Selbstbehaftung zu lösen: „Wir sehen und hören nichts mehr, wir sind einfach da, an einem zufälligen Ort, zu einem zufälligen Zeitpunkt, und unsere Gehirne hören auf, Informationen über die Umgebung zu prozessieren oder Daten zu analysieren, Pläne, Ideen, Gründe dafür, dass wir hier sind, dass wir wir sind, dass wir sind, Die Welt ist hell, windig und kalt. Und wir sind in ihr.“ Dieser Roman, der mit gerade mal 159 Seiten recht fragmentarisch bleibt, liest sich wie ein innerer Monolog – und ist dabei wirklich gut geschrieben. Heinz Helle hat am Schweizerischen Literaturinstitut gelernt und arbeitet als Werbetexter, er hat beim Ingeborg-Bachmann-Preis gelesen und wurde mit dem Ernst-Willner-Preis ausgezeichnet, er weiß, was er tut. Wer sich mit Philosophie beschäftigen mag, wer einen Hang zu melancholischem Nachdenken hat, ist damit ganz sicher gut bedient. Ich hab es gern und schnell gelesen, und am Ende war ich froh, kein Philosoph zu sein. Ich hätte mir längst selbst zwischen die Augen geschossen.
Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin von Heinz Helle ist erschienen im Suhrkamp Verlag (ISBN 978-3-518-42398-1, 159 Seiten, 18,95 Euro).
Was ihr tun könnt:
Dem Autor beim Lesen zuhören und die lobenden Worte der Zeit vernehmen, die den Roman souverän, intelligent und geglückt nennt.
Ein paar Rezensionsnotizen beim Perlentaucher dazu lesen.
Euch ein Interview mit Heinz Helle im Regen anschauen.
Das Buch bei ocelot.de bestellen.
Klingt toll! Muss schnell auf meine Wunschliste! 🙂
Es ist auf jeden Fall lesenswert!
Ich mag ein bisschen Philosophie eigentlich ganz gerne. Also werde ich mir diesen Debütroman mal etwas genauer anschauen. Danke für den Tipp!
Hab einen beschwingten Start in die Woche,
Katarina 🙂
Tu das unbedingt! Bin gespannt, ob du damit was anfangen kannst …