Von der Macht des Materiellen – und der Liebe
Sie ist eine für ihre Zeit ungewöhnliche Frau: 1947 schreibt Mary Frances Gerety, die als Werbetexterin arbeitet und unverheiratet ist, für den Diamantenproduzenten DeBeers den Slogan „A diamond is forever“. In den darauf folgenden Jahrzehnten gelingt es ihr anhand von gezielten Kampagnen für ihren Arbeitgeber N. W. Ayer, die größte Agentur weltweit, in den Köpfen aller Frauen zu verankern, dass ein Verlobungsring einen Diamanten haben muss – und dass dieser zwei Monatsgehälter kosten soll. Wie stark diese vermeintliche „Tradition“ ist, zeigt sich beispielsweise an Rettungssanitäter James, der 1987 alles Menschenmögliche tut, um seine Familie irgendwie durchzubringen – und der sich ununterbrochen dafür schämt, dass er seiner Frau Sheila seinerzeit keinen größeren Diamanten schenken konnte. Seine Angst, ihr nicht zu genügen, geht sogar so weit, dass er ihr mit dem spärlichen Verdienst lieber einen neuen Ring kauft, anstatt das bedrohliche Loch in ihrem Haus zu reparieren. An Geld mangelt es der Französin Delphine nicht, die 2003 durch einen Zufall gemeinsam mit dem ihr fremden Henri einen antiken Musikladen kauft und weiterführt – aber es mangelt ihr an Leidenschaft. Denn sie heiratet Henri, ohne ihn zu lieben, und entflammt plötzlich für den amerikanischen Geiger PJ, der Henris Stradivari kauft. Wenige Tage später sitzt sie in einem Flugzeug nach New York – mit einem funkelnden Diamanten am Finger. Eine absolute Diamantenhasserin ist Kate, die sich für die Umwelt und gegen die weltweiten Ungerechtigkeiten engagiert, ihr Kind freigeistig und nur mit Bio erziehen will, die Ehe verweigert – und 2012 Trauzeugin ihres Cousins Jeff sein muss, der seinen Freund Toby heiratet. Kate hat ein echtes Problem, und zwar mit allem: mit Nutella, Haarspray, dem sozialen Gefälle und den Blutdiamanten. Trotzdem gerät sie in Panik, als sie kurz vor der Hochzeit einen der diamantenen Eheringe verliert. Panikartig ist auch der Zustand von Evelyn, die im Jahr 1972 partout nicht verstehen kann, warum ihr Sohn die liebreizende Schwiegertochter und die Enkelinnen sitzen lässt, um sich mit einer vulgären Frau aus Kalifornien zusammenzutun. Was all diese Menschen verbindet? Die Suche nach dem Glück, nach der Liebe – und die unheimliche Faszination, die von Diamanten ausgeht.
J. Courtney Sullivan, die 2013 mit Sommer in Maine Erfolge feierte, hat mit Die Verlobungen ein Buch geschrieben, das für mich alle Charakteristika eines perfekten Schmökers aufweist: Es ist genial konstruiert – wobei sich die eigentlichen Zusammenhänge erst, und das macht es so gut, am Ende erkennen lassen –, der Stil ist ausschweifend, prall, aufgespeckt mit viel Hintergrundinformation über die Charaktere, die Figuren sind detailgenau und liebevoll gezeichnet, und die Handlung umspannt mehrere Jahrzehnte. Auf knapp 600 Seiten entfaltet sich ein opulenter Roman, in dem es sich so richtig schwelgen lässt. Die verschiedenen Kapitel wirken wie eigenständige Geschichten, werden aber von der thematischen Klammer „Hochzeit, Ehe, Diamantring“ zusammengehalten – und zwar auf indirekte und somit angenehme, aber doch spürbare und sinnvolle Weise. Da ich selbst als Werbetexterin arbeite, hat mich die wahre Story über Mary Frances Gerety und ihren Claim, der in der Agentur auf wenig Begeisterung stieß und später zum „Slogan des Jahrhunderts“ gewählt wurde, ganz besonders fasziniert. J. Courtney Sullivan hat auf interessante Weise herausgearbeitet, wie mit der Werbung der Grundstein für eine „Tradition“ gelegt wurde, die in der Folge so viele Leben und Liebesgeschichten beeinflusst hat – wie die Autorin dann mit den fiktiven Figuren James und Evelyn, Kate und Delphine eindrucksvoll zeigt. Sie schildert auch, wie sich das Heiraten in Amerika im vergangenen Jahrhundert verändert hat, und dass Diamanten nach wie vor als Symbol für die ewige Liebe stehen. Ich muss gestehen, dass ich in Sachen Romantik recht nüchtern bin und man mich mit weißen Täubchen und schimmernden Hochzeitsbillets nicht beeindrucken kann, weshalb mir der Roman stellenweise thematisch bedingt zu kitschig war. Wer aber ein Faible für diese Dinge hat, findet in diesem Buch ganz sicher ausreichend Stoff für romantische Tagträume. Es geht allerdings in Die Verlobungen mitnichten um Glitzer und Glamour, im Gegenteil: J. Courtney Sullivan hat das Leben abgebildet, wie es ist – anstrengend, banal, traurig –, wodurch sich die Sehnsucht nach ein bisschen Glitzer und Glamour erst recht hervorhebt. Sehr gut!
Die Verlobungen von J. Courtney Sullivan ist erschienen im Deuticke Verlag (ISBN 978-3-552-06244-3, 592 Seiten, 21,90 Euro).
Was ihr tun könnt:
In diesem Interview sehen und hören, warum die Autorin selbst keinen Diamanten trägt.
Auf die Verfilmung gespannt sein, angeblich hat sich Reese Whiterspoon die Rechte gesichert.
Das Buch über ocelot.de bestellen.
Was andere über das Buch denken:
Gut findet es Zoé von lesezeit.
Gut findet es auch Enid von Literaturschock.
Ich fand den Handlungsstrang über die Werbeagentur und Frances auch am spannendsten. Da ich Kulturgeschichte studiert habe, reizen mich solche Blickwinkel auf Liebe und Ehe und ihre Symbolik sehr. Eine Werbeagentur, die dafür sorgt, dass sich Amerikaner über Generationen in Unkosten stürzen… Und dieser Trend schwappt immer mehr nach Europa. Wahnsinn, wie klein und harmlos sowas anfangen kann. Ich habe auch vor einiger Zeit eine Rezension zu diesem Buch verfasst. Vielleicht magst du ja mal reinlesen.
Viele Grüße,
Mareike
http://herzpotenzial.com/?p=3083
Das war wirklich unheimlich interessant, da geb ich dir Recht! Vor allem war ich regelrecht verblüfft, weil mir dieses “Geheimnis” der Werbung völlig unbekannt war. Das war ein genialer Schachzug, der niemandem bewusst ist. Ich hab deine Rezension gelesen und kann auch deine Kritik ein wenig nachvollziehen, fand aber, dass das Buch auf seinem Niveau richtig gut gemacht ist.
Pingback: Sonntagsleserin KW #11 – 2014 | buchpost
Eine tolle Rezension, die einem einen guten Eindruck von dem Roman verschafft. Vielen Dank dafür! Auch ich fand die Details zu den Tricks der Werbung spannend.
Übrigens: Es fehlt ein Hinweis darauf, dass es sich um eine (ziemlich gute) Übersetzung handelt. Ich bin selbst Übersetzer und achte deshalb auf sowas. Wär schön, wenn Du das beim nächsten Mal und vor allem bei den Erscheinungsdaten (ISBN, Titel, Preis, etc.) hinzufügen könntest. Immerhin ist jedes einzelen Wort von jemandem gewählt, der oder die hier gar nicht erwähnt wird.