Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

Stefanie de Velasco: Tigermilch

VelascoAlles ist gut, solange du wild bist
Nini und Jameelah leben in Berlin in derselben Siedlung und sind mit ihren 14 Jahren bereit für die Entjungferung. Deshalb ziehen sie sich Ringelstrümpfe an und lassen sich von den Kurfürsten mitnehmen, um alles zu üben, was mit Sex zu tun hat. Denn wenn sie alles wissen, kann ihnen nichts passieren. Das Geld, das sie dafür bekommen, investieren sie in Milch, Maracujasaft und Mariacron – die Zutaten für Tigermilch. Was sie sonst noch haben wollen, klauen sie. Die Sommerferien dehnen sich endlos vor ihnen aus, Ninis Mutter lebt auf der Couch, Jameelahs Mutter träumt von der Einbürgerung, die Mädchen vertreiben sich die Zeit mit Amir im Freibad und auf Partys, Nino und Lukas sind die Auserwählten für die Entjungferung. Doch als eine Familienfehde rund um die Beziehung zwischen Amirs Schwester Jasna und einem Serben vor den Augen von Nini und Jameelah eskaliert, wird den beiden klar: Man kann nicht alles wissen. Und passieren kann einem trotzdem immer was.

Tigermilch von Stefanie de Velasco ist ein rotzfreches und zugleich tieftrauriges Buch. Die deutsche Autorin lässt in ihrem Debüt mit Ich-Erzählerin Nini ein Mädchen zu Wort kommen, das täglich erlebt, was einen „sozialen Härtefall“ ausmacht: kaputtes Elternhaus, Nachbarn mit Migrationshintergrund, Schuleschwänzen, Alkohol, Kleinkriminalität, Gewalt. Nini hält die Welt auf Distanz mit einem eigenartigen Wurschtigkeitsgefühl, das ihr jedoch abhandenkommt, als in Amirs Familie die Probleme richtig ernst werden. Ihre Freundschaft zu Jameelah ist innig, eine Art Familienersatz, gleichzeitig aber auch ein zweischneidiges Schwert, weil immer viel auf dem Spiel steht, wenn die Gefühle sehr groß sind. Alles gerät aus dem Gleichgewicht, und eine Flut an Emotionen bricht über die Teenager herein: Die Unsicherheit rund um den ersten Sex macht ihnen zu schaffen, Verrat und Schuldgefühle entwickeln eine zerstörerische Macht, und dass sie wissen, was das Richtige wäre, ändert nichts daran, dass sie es nicht tun.

Ich kenne mich in Berlin und mit der Berliner Jugend nüsse aus – doch Stefanie de Velasco schildert mir Ninis und Jameelahs Welt so lebensnah, dass ich mir alles genau vorstellen kann und ihr auch jedes Wort glaube. Der Erzählton schwankt zwischen Sarkasmus und Abgebrühtheit einerseits sowie kindlicher Hilflosigkeit andererseits. Oft wird der Ausdruck verwendet, dass ein Kind zu schnell erwachsen werden muss – hier trifft er zu: Die Protagonistinnen sind allein auf sich gestellt, wissen aber gar nicht, wie das Erwachsensein geht. Fazit: Sehr gut geschrieben, intensiv und lebendig erzählt, ein bisschen mit Klischees behaftet, aber sehr lesenswert!

0 Comments to “Stefanie de Velasco: Tigermilch”

  1. Mariki!!!! Wie toll, ist “Tigermilch” etwa ein gemeinsames Buch, das uns beiden gefallen hat? Ich habe es letzten Sommer sehr gerne gelesen und mir sind Nini und Jameelah richtig ans Herz gewachsen. Später hatte ich ja auch die Chance Stefanie de Velasco zu interviewen und war sehr beeindruckend von dieser jungen Autorin. Toll, dass der Roman dir auch gefallen hat.

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    1. Mariki Author

      Hurra! Das passiert uns ja schon immer öfter – wir nähern uns an 😉 (oder um es mit einem österreichischen Liedklassiker zu sagen: Langsam wachs’ma zam :D) Das Buch ist wirklich gut. Und ich hab es ja sogar bei dir entdeckt! Insofern – danke!

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