Kleine Köstlichkeiten: 4 Sterne

Monika Zeiner: Die Ordnung der Sterne über Como

Zeiner„Dann wirst du mich an alles erinnern, denn dafür sind Freunde da. Alles, was wir vergessen, ist weg, aber wenn wir zu zweit sind, erinnern wir uns an doppelt so viel, wir haben doppelt so viel Leben“
Tom und Marc sind beste Freunde. Sie studieren und wohnen zusammen, Marc ist ein hochgelobter Jungkomponist, Tom ist auf dem Weg, ein richtig guter Pianist zu werden. Aber nicht nur die Musik verbindet die beiden, sondern auch eine Frau: Betty. Tom lernte Betty bei seiner Geliebten kennen, einer verheirateten Frau, der er Klavierunterricht gibt, und Marc machte Betty zu seiner Freundin. Freilich weiß man längst, dass Dreieckskonstellationen schwierig sind, dass Freundschaft und Liebe sich manchmal zu nahe kommen: „Später hört er, wie Betty den Reißverschluss ihres Zeltes öffnet, ungefähr fünf Meter von ihm entfernt, und während er wach liegt und in die Finsternis starrt, sagt er sich wieder, dass Liebe nicht sein muss. Liebe ist eine Möglichkeit unter vielen und absolut nicht zwingend.“ Diese Liebe ist dann aber doch zwingend, und als die drei Freunde gerade am Como See weilen, eskaliert die Situation. Und Marc kehrt nicht lebend nachhause. Tom und Betty liegen begraben unter den Trümmern, die sein Tod auslöst, Betty flüchtet nach Italien, Tom spielt weiterhin Klavier, aber nur noch mechanisch und ohne seine Seele: „Wenn er Klavier spielte, war es so, als streichelte man einem Querschnittsgelähmten die Beine.“ Viele Jahre später – Tom ist frisch von Hedda geschieden, Betty betrügt ihren italienischen Mann Alfredo mit einem Kollegen – erfährt Betty, dass Tom auf einer Konzerttournee in Italien spielen wird und kontaktiert ihn, um sich mit ihm zu treffen. Es ist Zeit geworden, dass die beiden sich dem stellen, was damals geschehen ist.

Die deutsche Autorin Monika Zeiner hat ihr Debüt Die Ordnung der Sterne über Como randvoll gefüllt mit großen und kleinen Themen: Die Wichtigkeit von Freundschaft, die Sprengkraft der Liebe und der Zauber der Musik spielen ebenso eine Rolle wie das Scheitern von Träumen an der Realität, Untreue und bitterer Verlust. So angefüllt ist das 600 Seiten starke Buch, dass ich bei mancher ausufernden Länge ein wenig den Faden verliere und ins Stolpern komme. Die meiste Zeit über führt Monika Zeiner mich aber auf elegante Weise auf den Spuren von Tom, Marc und Betty durch den Roman, entwirrt die verschlungenen Pfade der gemeinsamen Vergangenheit dieser drei Protagonisten und zeigt mir, weshalb sie schließlich in der Gegenwart dort gelandet sind, wo sie sich befinden. Prägend für das Buch und für die Geschichte ist eine enge Männerfreundschaft, die zu Beginn so unbedarft ist, wie sie es wohl nur sein kann, wenn beide Männer jung und voller Zukunftsträume sind. Dann kommt eine Frau, und als die Tragödie ihren Lauf nimmt, kommt die Schuld – die Marc und Betty fortan so fest umklammert hält, dass sie nie wieder frei atmen können.

„Immer ist alles anders gekommen mit Marc. Jeder Tag eine unvorhergesehene Wendung. Ein Knick um neunzig Grad hinter dem Horizont. Man will in den Wedding und kommt ans Meer. Man will Klavierschüler und kriegt eine Geliebte. Man will, dass alles so bleibt, und alles ändert sich.“ Dass das Leben voll unvorhersehbaren Wendungen steckt, hat Monika Zeiner in diesem Buch sehr eindrucksvoll herausgearbeitet. Ihre Figuren sind lebendig, ihre Einsichten klug, die Geschichte ist stimmig, und das Ende klingt auf perfekt passende Art aus. Sie legt einen Roman vor, der staunen lässt angesichts seiner Wucht und Traurigkeit, die aber nie so schwer wiegen, dass man das Gefühl verliert, alles hätte tatsächlich ganz genau so geschehen können. Und das ist die besondere Kunst: so gut vom fiktiven Leben anderer zu erzählen, dass der Leser gern ein wenig eigene Lebenszeit für die Lektüre gibt.

Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge:
das Bild erscheint mir nicht unbedingt passend für den Inhalt, das Cover an sich ist jedoch sehr gelungen.
… fürs Hirn: die Frage nach der Schuld, nach jenem Moment, der all das ins Rollen gebracht hat, was danach niemand mehr aufhalten konnte.
… fürs Herz: das Karussell von Freundschaft und Liebe.
… fürs Gedächtnis: ein Lieblingszitat: „Wenn man jung ist, dann ist das Leben ein Gewirr von tausend Möglichkeiten, ein Gewimmel von tausend Wegen, einer vielversprechender als der andere, und du denkst, dass du sie alle gehen kannst. Wenn dir einer nicht gefällt, kehrst du um und suchst dir einen anderen, alles ist hell und freundlich. Alle Türen sind offen, dahinter ist Licht. Je älter du wirst, desto mehr Türen fallen zu, Wege verschwinden, sind einfach nicht mehr da, oder du findest sie nicht wieder, wie im Märchen, wo plötzlich meterhohe Dornenbüsche wachsen.“

Die Ordnung der Sterne über Como von Monika Zeiner ist erschienen im Blumenbar Verlag (ISBN 978-3-351-05000-9, 607 Seiten, 19,99 Euro).

0 Comments to “Monika Zeiner: Die Ordnung der Sterne über Como”

  1. Ich hab das Buch im Regal stehen, war aber aus irgendeinem Grund skeptisch, ich hatte nie so recht Lust, es wirklich zur Hand zu nehmen. Aber jetzt lese ich in deiner Rezension, wie gut es offenbar ist, und das freut mich. Danke dir dafür, ich hätte es womöglich über die Zeit vergessen!

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