„Das Leben ist ein Hund, es erwischt einen ohnehin, wenn man am wenigsten damit rechnet oder wenn man ihm zu lange in die Augen sieht“
„Aber das Wichtigste im Leben ist nicht der Platz, den man hat, man kann auch mit wenig Platz gut leben. Das Wichtigste ist die Versorgung, dass sich jemand kümmert, das ist wichtig, findest du nicht.“ Maria hat nicht unbedingt viel Platz, und kümmern muss sie sich um alles ganz allein. Seit die Verkäuferin im besten Alter ihre Stelle verloren hat, dehnen sich die Tage vor ihr aus, und sie muss sich die Zeit vertreiben zwischen Bewerbungen-Schreiben, Affirmationen-Üben und Den-Nachbarn-aus-dem-Weg-Gehen. Maria war eine gute Verkäuferin, aber auf dem Arbeitsmarkt ist sie unerwünscht, weil sie zu alt ist und ihre Erfahrung zu wertlos. Von Mann und Haustier ist nichts geblieben, und so kämpft Maria jeden Tag tapfer gegen den übermächtigen Feind: die Verzweiflung.
Der Winter tut den Fischen gut von Anna Weidenholzer ist ein deprimierendes Buch. Auf über 200 Seiten widmet sich die junge österreichische Autorin mit Fingerspitzengefühl einem Schicksal, das nicht ungewöhnlich ist: ungewollte, unverschuldete Arbeitslosigkeit, aus der es scheinbar keinen Ausweg gibt. Maria tut (fast) alles, was das Arbeitsamt ihr befiehlt, sie biedert sich an, bewirbt sich, motiviert sich, scheitert immer wieder. Es scheint keinen Platz für sie zu geben in den vielen Bekleidungsgeschäften, in denen die Verkäuferinnen jung, dünn und schlecht ausgebildet sind. Was bleibt dann? Endlose Tage, Spaziergänge, den Körper waschen und mit Nahrung versorgen, sich irgendwie über Wasser halten. „Wenn einem das Haustier im Kühlschrank gefriert, ist das eine unangenehme Situation“ – dieser Satz fasst Marias Misere am besten zusammen. Es gab einmal einen Mann, und es gab einmal ein Haustier – wer wer ist, kann ich anfangs kaum auseinanderhalten, so ähnlich sind die Gefühle von Maria, wenn sie sich erinnert. Sie legt ein eigenartiges Verhalten an den Tag, eine Mischung aus Engagement und Apathie, die mir für jemanden in ihrer Lage sehr glaubwürdig erscheint. Maria ist wahnsinnig einsam, fürchtet aber zugleich den Kontakt zu anderen Menschen, und in ihrem Inneren hadern Groll und Resignation miteinander.
Anna Weidenholzer erzählt sanft, klar und nüchtern von dem, was wir alle wissen, aber selten aussprechen: dass es richtig scheiße ist, arbeitslos, unterfordert und „unnütz“ zu sein. Dieses Buch ist mehr Bericht als Geschichte, es ist ein Sich-Hineindenken und Sich-Hineinfühlen. Die Autorin bildet die Situation ab, ohne sie zu verändern, und ich muss gestehen, dass ich mir eine solche Veränderung sehr gewünscht hätte, dass ich gehofft habe auf einen Einschnitt, eine überraschende Begegnung, einen Sonnenstrahl, einen Faustschlag – irgendwas, das Maria und mich aus unserer Lethargie gerissen hätte. Das ist nicht geschehen, und ich bin am Ende der Lektüre niedergeschlagen, desillusioniert und „dramhappert“ – als hätte ich zu lang geschlafen und schlecht geträumt, einen Traum, ganz lang und schwer und ereignislos.
Durchgekaut und einverleibt: Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge: ein richtig cooles Cover!
… fürs Hirn: der Gedanke: Hoffentlich passiert mir das nie.
… fürs Herz: nichts. Das Leben ist ein Schwein.
… fürs Gedächtnis: das Ende von Otto.
Deine Buchbesprechung hat mich wieder erinnert an meine eigene Lektüre des Romans. Und auch wenn Dein Hinweis ja völlig stimmt, dass es ein sehr trauriges Buch ist, das sehr anschaulich diese ausweglose Situation Marias vermittelt, fand ich es unheimlich gut erzählt. Und besonders gelungen fand ich, dass es rückwärts erzählt, dass, je weiter man mit dem Lesen fortschreitet, umso mehr in die Vergangenheit eintaucht und so die Entwicklung Marias eine noch deutlichere Folgerichtigkeit bekommt. Das hat Anna Weidenholzer auch konzeptionell unheimlich gut gemacht.
Wir haben uns ja schon an anderer Stelledaraüber auseinangesetzt, dass dieses Buch auch gut den Buchpreis verdient hätte.
Viele grüße, Claudia
Da geb ich dir auf jeden Fall recht, liebe Claudia!